Nach dem Ersten Weltkrieg versammelte sich in Paris eine Riege junger Künstler*innen. In ihrem Zentrum: die Amerikanerin Gertrude Stein. Worteweberin Annika hat mit der Graphic Novel „Gertrude Stein und ihr Salon der Künste“ von Valentina Grande und Eva Rosetti eine Zeitreise unternommen.
Jeden Samstag kamen sie im Salon in der Rue de Fleurus in Paris zusammen: Ernest Hemingway, Scott Fitzgerald, Henri Matisse, Pablo Picasso, Ezra Pound, T.S. Elliot, Sherwood Anderson und viele andere Schriftsteller*innen und bildende Künstler*innen. Ihre Gastgeberin Gertrude Stein förderte und vernetzte die Künstler*innen, während sie selbst versuchte, als Schriftstellerin Anerkennung zu finden. Doch während sich die Avant Garde nach ihrer Aufmerksamkeit und Unterstützung sehnte und Stein viele sehr erfolgreiche Personen aufbaute, fand ihr eigenes Werk im Literaturbetrieb eher wenig Beifall.
„Warum ist Gertrude Stein kaum bekannt? Vermutlich, weil sie eine Frau war – oder, wie die feministische Philosophin Monique Wittig ergänzen würde, eine lesbische Frau.“
(S. 121)
Ein erfolgloser Schriftsteller
Valentina Grande und Eva Rosetti nehmen sich in der Graphic Novel Gertrude Steins, ihrem Salon und der Frau an Steins Seite, Alice Toklas, an. Erzählt wird aus der Ich-Perspektive eines männlichen Künstlers, der erfolg- und namenlos bleibt. Die Entscheidung dafür begründet Grande im Nachwort: Während in der Literatur normalerweise Frauen männliche Genies beschreiben, sollten die Rollen hier vertauscht werden.
Im Nachwort gibt die Autorin auch weitere Einblicke in Steins Biografie. Sie geht unter anderem auf die Antisemitismus-Vorwürfe gegen die Mäzenin ein, aber auch auf ihr unkonventionelles Schreiben. Auch dadurch ist das Nachwort ein echter Zugewinn.
„Was hältst du davon, dass es ein Mann ist, der dein Leben erzählt?“
(S. 112-113)
„Ich verstehe es. Sie wollen so sein wie ich … damit sie mich nicht brauchen.“
In drei Teilen nähert sich „Gertrude Stein und ihr Salon der Künste“ eher situativ der Biografie an. Der namenlose Künstler erinnert sich in seiner Gegenwart an die längst vergangenen Jahre, in denen er mit Gertrude Stein eng befreundet war, im Salon viele Künstler*innen kennenlernte und andere, nämlich Pablo Picasso, immer wieder verpasste.
Erinnerungsfetzen
Verschiedene Anekdoten werden wiedergegeben: ein Picknick vor dem Ersten Weltkrieg beim Landhaus von Henri Matisse, ein Abend, an dem ein Stuhl unter Ezra Pound zusammenbricht („Danach haben wir ihn in der Rue de Fleurus nie wiedergesehen.“), Spaziergänge, Gespräche. Die Szenen werden stimmungsvoll in gedeckten Farben bebildert, die dargestellten Figuren – viele davon sind den Leser*innen möglicherweise bekannt – markant dargestellt.
Wer sich für Literatur und bildende Kunst, Frauenbiografien oder diese spannende historische Zeit interessiert, kommt in „Gertrude Stein und ihr Salon der Künste“ bestimmt auf seine Kosten. Allerdings werden nur Ausschnitte erzählt, Erinnerungsfetzen, und die Graphic Novel ist relativ kurz. Das macht Lust auf mehr: Um Gertrude Steins Salon und die damalige Zeit in Paris geht es auch in Ernest Hemingways „Paris, ein Fest fürs Leben“ und im Film „Midnight in Paris“ von Woody Allen.
Gertrude Stein und ihr Salon der Künste. Valentina Grande, Eva Rosetti. Aus dem Italienischen von Ingrid Ickler. Knesebeck. 2023.
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