Vergangenes Wochenende hat zum 16ten Mal das Internationale Literaturfestival „Poetry on the Road“ in Bremen stattgefunden. 26 Dichterinnen und Dichter sind von Nah und Fern angereist, um ihre Werke mit poesiehungrigen Bremerinnen und Bremern zu teilen. Auch dieses Jahr haben es die Organisatoren von Radio Bremen und der Hochschule Bremen mit einem abwechslungsreichen Programm geschafft, Jung und Alt für moderne Lyrik zu begeistern.
Auf dem Schulschiff Deutschland herrscht heute eine ganz besondere Atmosphäre. Nur das Kreischen der Möwen und das Pfeifen des Windes stören hier die Stille am Sonntagnachmittag. Es fühlt sich an wie eine Auszeit, auf dem großen Segler zu sein. Ich stelle mich ans Steuer und schaue auf das Wasser, während ich darauf warte, dass die Veranstaltung beginnt. Es ist eine der letzten im Rahmen des „Poetry on the Road“ Festivals.
In einem überschaubaren Raum unter Deck setze ich mich auf einen Stuhl in den hinteren Reihen, der noch nicht reserviert ist. Eine der Organisatorinnen verteilt kleine Büchlein: „Regole della Poesia – Poetry Rules“ von der italienischen Dichterin Alessandra Bava. Währenddessen legt sich langsam das Gewusel um mich herum. Ans Mikrofon tritt Michael Augustin von Radio Bremen, der Hauptorganisator des Literaturfestivals. Ohne viele einleitende Worte stellt er direkt die erste Autorin vor: Sarah Holland-Batt aus dem fernen Australien, die eines ihrer Gedichte vortragen wird.
Eine Reise durch die Poesie
Ab diesem Moment gebührt Zeit und Raum einzig und allein der Poesie. Es geht von einem Abenteuer ins nächste und im Minutentakt erschaffen die Dichterinnen und Dichter aus nicht nur deutschen sondern auch spanischen, englischen, französischen, gar hebräischen und litauischen Worten neue Welten. 14 Autoren von fünf Kontinenten geben einer nach dem anderen eines ihrer lyrischen Werke zum Besten. Die meisten von ihnen haben in den vergangenen zwei Tagen schon mehrfach gelesen.
Passend zur maritimen Location liest Sarah Holland-Batt „The lifecycle of the eel“ und steuert mit ihren Worten das Schulschiff Deutschland aus dem Vegesacker Hafen in Richtung offenes Meer. Anker lichten, Leinen los! Nächster Halt ist die „Alte Strandstraße“ auf Usedom. Nadja Küchenmeister, die Gewinnerin des Förderpreises zum Bremer Literaturpreis 2014, erzählt von Urlauben, die sie in ihrer Kindheit auf der Ostseeinsel verbracht hat.
Lange bleiben wir dort aber nicht. Antanas Jonynas steuert uns durch ein litauisches „Herbstgewitter“. Es geht bis nach Amerika und wir segeln unter der „Brooklyn Bridge“ hindurch (Mario Bojórquez, Mexiko). In Costa Rica macht Luis Chaves „Anmerkungen zu einer Cumbia“. Und später singt Brasilianer Ricardo Domeneck „Ein Wiegenlied für einen tauben Liebhaber“, zusammengepuzzelt aus Worten auf verschiedenen Sprachen.
Meine Sinne sind geschärft und ich sauge die Verse auf – witzig, schrecklich, ernst, lebendig, faszinierend. Nur die holprig funktionierende Tontechnik holt mich ab und zu zurück. Die Performances der Autoren, ehrlich und echt, machen jedoch alles wieder wett. Es scheint mir, als könnte ich sogar das hebräische Gedicht von Maya Kuperman oder den französischen Slam von Julien Delmaire verstehen. Dank der Übersetzungen, gelesen von den anwesenden deutschen Poeten, muss ich zu diesen Texten nicht nur Vermutungen anstellen.
„Il poeta sei Tu – The poet is You.“
Der Nachmittag ist wie eine Reise. Ich hätte schwören können, dass schon mehr Zeit vergangen ist, als Michael Augustin noch einen seiner eigenen Texte vorträgt und damit die Veranstaltung nach fast eineinhalb Stunden beendet. Wir fahren wieder in den Hafen ein, zurück ins Hier und Jetzt. Ich sitze noch einige Augenblicke etwas benebelt auf meinem Stuhl – in der Hand das kleine Büchlein „Regole della Poesia – Poetry Rules“. Ich blättere es durch wie ein Daumenkino. Auf der letzten Seite steht herausfordernd geschrieben: „Il poeta sei Tu – The poet is You.“
Vollkommen egal auf welcher Sprache sie geschrieben wird – ob als Slam oder als Lautmalerei, ob über die Liebe, das Leben oder über etwas ganz anderes – in der Lyrik ist alles möglich und alles erlaubt. Die Autoren haben heute, wie auch an den bereits vergangenen Tagen, genau das bewiesen, jeder auf seine eigene Art. Sie haben kleine Stücke von sich in Gedichten verpackt und mit den aufmerksamen Zuhörern neu entdeckt.
„Poetry on the Road“ hat ein weiteres Mal darauf aufmerksam gemacht, dass großartige Gedichte nicht nur eingestaubt in manch einem einsamen Bücherregal zu finden sind. Jeder, der dieses Wochenende auf einer der Festivalveranstaltungen in und um Bremen war, hat hautnah erleben können, wie lebendig die moderne Lyrik ist.
Laura Acksteiner
Bild: Poetry on the Road
Wunderschöner Bericht! Ich wünschte, ich wäre dabei gewesen.