In Peter Nichols Roman „Die Sommer mit Lulu“ werden mindestens zwei Liebesgeschichten erzählt – und zwar rückwärts. Worteweberin Annika hat diese Zeitreise durch verpasste Gelegenheiten auf dem sommerlichen Mallorca mitgemacht.
Viele Jahre nach ihrer Scheidung sehen Lulu und Gerlad sich zufällig in Cala Marsopa beim Einkaufen wieder und haben, wenn überhaupt, nur Vorwürfe füreinander übrig. Inzwischen sind sie alt und gebrechlich geworden und blicken auf ein langes Leben zurück, die meiste Zeit getrennt voneinander. Sie haben andere Partner gefunden und verloren, Kinder bekommen und ihr Glück ohne einander gesucht.
Beim Wiedersehen kommt es zum Handgemenge. Mit einem Mal stürzt Lulu und im Versuch sie zu retten, fällt Gerald zusammen mit seiner einstigen Liebe die Klippen hinunter ins Mittelmeer. Nun ist es an Luc und Aegina, den Kindern aus zweiter Ehe, die Vergangenheit der beiden Streithähne zu sortieren. Warum trennten sich die beiden schon einige Wochen nach ihrer Hochzeit wieder und was hat es mit den Fotos in Lulus Nachttisch auf sich? Gleichzeitig haben auch Luc und Aegina längst nicht alles in ihrer gemeinsamen Vergangenheit geklärt.
Nach dem einleitenden Ende beginnt eine Reise in die Vergangenheit. Nach und nach tastet sich die Geschichte durch die Generationen von Lulus und Geralds Enkeln und Kindern zurück, bis hin zum Kennenlernen der beiden. Obschon der Ausgang bereits bekannt ist, bleibt die Spannung in „Die Sommer mit Lulu“ erhalten, denn viele Antworten sind nur in der Vergangenheit zu finden. Eine Vergangenheit, die vor allem von verpassten und verstrichenen Gelegenheiten geprägt ist. Einiges, so zeigt sich, lässt sich davon aber in der Zukunft nachholen. Das nicht-chronologische Erzählen ist ein spannender Einfall und macht den Roman von Nichols sehr abwechslungsreich.
Der Autor, Peter Nichols, ist viele Jahre lang zur See gefahren. Die Liebe zum Wasser und zur Seefahrt überträgt er mit Gerald, dem modernen Odysseus, in den Roman. Seine Erlebnisse auf Schiffsreisen während des Krieges, die mehrfach angedeutet werden, machen neugierig und hätten gerne auch ausführlicher besprochen werden können. Lulu hingegen, die schon durch den Romantitel zur Protagonistin avanciert, bleibt konturlos und vor allem unsympathisch. Das könnte an ihrem sprunghaften Umgang mit Männern liegen, daran, dass sie einen Fünfzehnjährigen verführt oder an der Unfähigkeit, ihrem Sohn Luc ihre Zuneigung zu zeigen. Wie auch immer, so richtig warm werden kann man mit Lulu nicht. Gut, dass diese vermeintliche Protagonistin eine kleinere Rolle spielt, als erwartet. Eher geht es um Lulus und Geralds Kinder Aegina und Luc, die ein tiefes Band zu verknüpfen scheint und die, glücklicherweise, viel sympathischer sind. Besonders eindrucksvoll beschrieben ist deren Reise in Jugendjahren nach Marokko, die das Herzstück des Romans bildet.
Die Szenerie aus Schiffsausflügen, lauen Nächten am Strand von Cala Marsopa und Abenden im Fischrestaurant ist wie ein Kurzurlaub für die Seele, der eine authentisch mediterrane Sommeratmosphäre vermittelt. Dazu passt auch wunderbar das Umschlagbild des jungen Paares auf Klippen im hellblau leuchtenden Wasser, das „Die Sommer mit Lulu“ ziert.
Die Sommer mit Lulu. Peter Nichols. Aus dem Englischen von Dorothee Merkel. Klett-Cotta. 2016.
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