Letztes Jahr veröffentlichte Carlsen den nachkolorierten Comic „Tim im Lande der Sowjets“. Geschichtenzeichnerin Celina erweitert damit ihre Tim-und-Struppi-Reihe, die sie bereits beim BM vorgestellt hat, und kann nun besser nachvollziehen, warum Zeichner Hergé diesen Comic als Jugendsünde ansah.

In „Tim im Lande der Sowjets“ wird Tim zum ersten Mal als Reporter vorgestellt, der mit seiner belgischen Sicht ins Ausland reist, um von dort zu berichten. Dabei geraten er und sein Hund Struppi, der ihn stets begleitet, in ein Abenteuer. Gleich auf der zweiten Seite des Heftes wird ein Gegenspieler und Schurke dargestellt, der Tim daran hindern will, die damalige Sowjetunion zu erreichen. Dazu legt dieser eine Bombe, die aber den beiden, bis auf ein blaues Auge, nichts anhaben kann, während der halbe Zug weggesprengt wird – zum Glück sind die beiden Comicfiguren!

Der Zug, oder das, was von ihm übrig ist, hält in Berlin, wo Tim in seiner zerrissenen Kleidung von einem Polizeibeamten verdächtigt und in Gewahrsam genommen wird. Doch unser Held kann fliehen. Auf der Flucht werden Tim und Struppi von einem Flugzeug verfolgt, das Bomben auf sie abwirft. Trotz eines Treffers kommen die beiden erneut mit einem blauen Auge davon, um wiederum an der Grenze zu Stolbzy festgehalten zu werden. Der ganze Comic ist ein Katz-und-Maus-Spiel, in dessen Verlauf Tim auch zeigt, dass er gut mit Fäusten austeilen kann, wenn es darauf ankommt und dass er sich aus brenzlichen und bombastischen Situationen zu befreien weiß.

Umso näher Tim seinem Ziel Moskau kommt, desto mehr werden Schauplätze in Szene gesetzt, die den Lesenden aufzeigen sollen, wie schlecht es den Menschen in der Sowjetunion ging. Darunter sind Wahlen, bei denen die Bevölkerung unter Androhung von Waffengewalt gezwungen wird die KPDSU, eine kommunistische Partei, zu wählen. Ebenso wird das Stadtbild Moskaus als heruntergekommen und verarmt dargestellt. Die sowjetischen Polizisten werden stets als zur Waffe greifende Dummköpfe gezeigt, denen Tim immer überlegen ist. Dadurch wird die im Comic übertragene antikommunistische Haltung deutlich.

Stil und Entwicklung Hergés

Damals war Hergés Art der Comicinszenierung neu und innovativ. Aus heutiger Sicht lässt sich an „Tim im Lande der Sowjets“ sein Schaffensprozess beobachten. Bereits vorhanden sind,

  • wie Tim und Struppi als Dou agieren und sich gegenseitig unterstützen.
  • die erzählerische Kombination aus Abenteuer und Humor in Form von Slapstick, die aus schwarz-weiß Filmen bekannt ist.
  • der Zeichenstil Ligne claire, bei dem die Figuren mit klaren Strichen umgesetzt werden und keine Schattierungen aufweisen.
  • dass Hergé es versteht, technische Maschinen, wie Autos und Flugzeuge überzeugend darzustellen.
  • die verständliche und gut lesbare Gestik und Mimik der Figuren.
  • die Dynamik, die die Comicgeschichte und ihre Figuren lebendig wirken lässt.

Im Vergleich zu nachfolgenden Werken fällt etwa auf, dass die Figuren noch gröber gezeichnet sind und die Hintergründe nicht so detailliert ausfallen und somit flächiger angelegt sind. Dieser Band beschränkt sich auf die Figuren Tim und Struppi, denn erst später kommen Charaktere wie Kapitän Haddock und Schulze und Schultze hinzu. Die Erzählung an sich ist noch recht oberflächlich: Handlungen wiederholen sich, wohingegen später tiefgehende Geschichten und Abenteuersettings präsent sind.

Mit Blick auf die zeichnerische und erzählerische Entwicklung Hergés kann man verstehen, dass dieser rückblickend von seinen Anfängen nicht so überzeugt war wie von seinen späteren Werken. Dies erklärt auch, warum dieser Band als Nummer 0 bekannt ist.

Das sei noch gesagt

Bei dieser Erstveröffentlichung des eigentlich in schwarz-weiß entstandenen Werks handelt es sich um einen Druck einer kolorierten Version von 2017. Dabei sollte nicht außer Acht gelassen werden, dass das Original aus dem Jahr 1929 stammt und somit ein Kind seiner Zeit ist mit dementsprechend historischen Narrativen und politischen Ansichten.

Diese Comicausgabe ist bisher nur als teurerer Hardcover erschienen, obwohl es alle anderen Tim-und-Struppi-Abenteuer im Softcover gibt und auch die schwarz-weiß Version, die bei Carlsen 2004 erschien, im Softcover angeboten wird.

„Tim im Lande der Sowjets“ kann allen ans Herz gelegt werden, die sich von der Entwicklung Hergés ein Bild machen wollen und Tim-und-Struppi-Fans sind. Allerdings sollte dazu gesagt werden, dass dieser Comic an seine später folgenden Meisterwerke nicht herankommt.

Tim im Lande der Sowjets. Hergé. Carlsen. 2023.

Celina Ziebarth

Celina Ziebarth

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