Ein aufklärerisches Kinderbuch auch schon für die jüngeren Kinder zur Normalisierung und Enttabuisierung von Vulva und Sexualität: Das Bilderbuch „Lina, die Entdeckerin“ rückt die Vulva ins Rampenlicht. Satzhüterin Pia ist begeistert!
„Hast du dich denn auch … da unten gewaschen? Na, da, zwischen den Beinen“, so oder so ähnlich dürften Gespräche von Eltern zu Töchtern oft verlaufen. Wahlweise mit verniedlichenden Begriffen wie „Muschi“ oder „Mumu“ versehen. Lina ist eine Entdeckerin, eine Forscherin, neugierig und vorwärtsstrebend. Und so erforscht sie auch Körper – ihren Körper – und weiß genau, dass „das da unten“ eine Vulva ist und keine Unsicherheiten hervorrufen sollte und keinesfalls ein Tabu ist.
Lina schaut sich alle Dinge ganz genau an, und so auch Menschen – am FKK-Strand lernt sie zum Beispiel viel über nackte Körper, Körperhaare oder Körperschmuck:
„Und siehe da: Im Lauf der Jahre
sprießen bei allen Menschen Körperhaare.
Manche tun sich’s abrasieren,
während andere sich frisieren.“
Das Autor:innen-Team, bestehend aus Katharina Schönborn-Hotter (Psychologin und Pädagogin), Lisa Charlotte Sonnberger (Kunsthistorikerin und Kindergartenpädagogin) sowie Flo Staffelmayr (Textarbeiter), geht in jedes Detail. Die kleinen verrückten Szenen aus Linas Leben (zum Beispiel nackt in Schlammpfützen zu springen oder in den Schnee zu pinkeln) werden von allerlei Wissenswertem begleitet. Wie wird nach dem Klogang die Vulva abgewischt? Wie wird die Vulva richtig gewaschen? (Spoiler: Nicht mit Seife!)
Linas Mama ist schwanger, was Linas Entdeckungsdrang in spannende Forschungsgefilde führt:
„Etwas beschäftigt Lina überaus – wo kommen nur die Babys raus? „Mama?! Bin ich wirklich aus diesem kleinen Loch gekommen?”
Und so hat Linas Forschungsreise flugs begonnen:“
Es wird einfach alles angesprochen: Nacktheit und unterschiedliche Körperbilder, Körperhygiene, Wissenswertes zu Bezeichnungen und Anatomie bis hin zu Hygieneartikeln während der Menstruation.
Die Aufklärungsreise ist unterhaltsam, lehrreich und sehr kreativ gestaltet, denn Lina reist tatsächlich ins Körperinnere: Sie „klettert dort hinab in die Spalte“ und erkundet die Vulva und die Vagina. Dabei lernt sie sehr viel über die Anatomie von Menschen mit einer Vulva und somit auch die Unterschiede beziehungsweise falschen Bezeichnungen. (Die Vagina ist nämlich der Muskelschlauch zwischen Gebärmutter und Vulva – die Vulva selbst ist der Teil, der von außen sichtbar ist.)
Die Autor:innen haben das Buch trotz des intimen Themas sehr kindgerecht umgesetzt. Reime, alltägliche Situation, der Entdeckerdrang der kleinen Lina und ihr offensichtliches Selbstbewusstsein helfen dabei, anfängliche Scham beiseite werfen zu können. Seiten wie „Ein Körperteil mit ganz vielen Namen“ brechen spätestens das Eis: Bei „Muschi“ ist eine Katze abgebildet, bei „Mumu“ eine Kuh und bei „Schlitzchen“ eine Schraube. All diese Begriffe mit ihren tatsächlichen Gegenständen zu sehen, zeigt auf, wie albern solche verschämten Kosenamen doch sind. Ein Kästchen ist noch frei: „Wie sagst du dazu?“ Damit kann das Gespräch spielerisch auf die eigene Wahrnehmung gelenkt werden.
Starke Illustrationen
Die Illustrationen von Anna Horak sind die besondere Stärke des Buches. Statt Fotografien zu nutzen, werden Kinder über die künstlerischen, aber detailreichen Bilder an das Thema herangeführt. Im Buch herrscht eine kindgerechte Atmosphäre, über die ein selbstverständlicher Zugang zum Körper ermöglicht wird. Natürlich richtet sich das Buch damit vornehmlich an Menschen mit Vulva, aber informativ ist es in jedem Fall auch für alle anderen Menschen. Es wurde bewusst darauf geachtet, Diversität aufzuzeigen und somit gänzlich unterschiedliche Körperformen und Ethnien zu zeigen. Im Vorwort wird darauf hingewiesen, dass es „eine Vielzahl an Geschlechtern gibt“, auch wenn dieses Buch explizit dem kleinen Mädchen Lina gewidmet ist. Lina selbst scheint mixed zu sein, ihre Mutter ist eine Person of Color, ihr Vater weiß.
„Lina, die Entdeckerin“ ist ein wirklich tolles, offenes und unkonventionelles Aufklärungsbuch für Kinder. Es ist kurzweilig und informativ, wundervoll illustriert und enttabuisiert ein wichtiges Thema, einfach, indem es dies anspricht. Denn „Sprache schafft Wirklichkeit und gestaltet unsere Realität“. Lina ist eine Bereicherung für jedes Bücherregal!
Booktrailer auf YouTube: https://youtu.be/ZqJqMtCvndE
Lina, die Entdeckerin. Katharina Schönborn-Hotter, Lisa Charlotte Sonnberger, Flo Staffelmayr. Illustrationen: Anna Horak. ACHSE Verlag. 2020. BK-Altersempfehlung: Ab etwa 5 Jahren, aber gerne so früh wie möglich!
0 Kommentare