Wahnhafte Vaterliebe

von | 02.08.2022 | Belletristik, Buchpranger

Voller Erwartungen hat Seitentänzerin Michelle-Denise Matt Haigs Roman „Der fürsorgliche Mr. Cave“ begonnen zu lesen. Leider fühlte sie sich von Seite zu Seite immer unwohler mit dem überfürsorglichen Protagonisten Mr. Cave …

Der Antiquitätenhändler Terence Cave hat in seinem Leben schon drei schwere Schicksalsschläge verkraften müssen: den Selbstmord seiner Mutter, die Ermordung seiner Frau und den Unfalltod seines Sohnes. Als enge Angehörige bleibt ihm nur noch seine Tochter Bryony, und diese hütet er nach den Geschehnissen der Vergangenheit wie seinen Augapfel. Ob auf dem Schulhof, unterwegs mit Freunden oder zu Hause, Mr. Cave verfolgt Bryony auf Schritt und Tritt. Der überfürsorgliche Vater nimmt seiner Tochter allmählich die Luft zum Atmen und stellt immer strengere Regeln für sie auf, die in einer Katastrophe zu enden drohen.

Angstgesteuerter Protagonist

Der Autor Matt Haig lässt in seine Bücher stets persönliche Erfahrungen mit Angststörungen und Depressionen einfließen. So auch in „Der fürsorgliche Mr. Cave“. In diesem Roman erzählt der Ich-Erzähler in der Retroperspektive die Geschehnisse aus der Sicht des angstgesteuerten Protagonisten Terence Cave. Mr. Cave hat bereits alle Arten des Sterbens in seinem familiären Umfeld erleben müssen. Durch diese Erlebnisse sieht er an jeder Ecke, in jedem Moment und in jedem Menschen aus Bryonys nahem Umfeld eine potentielle Gefahr. Der Vater projiziert seine Verlustängste auf seine Tochter und sperrt sie in einen unsichtbaren Käfig aus Kontrolle und immer strenger werdenden Regeln.

Durch die Erzählweise des Romans lässt sich bereits erahnen, dass das Buch in einer Katastrophe enden wird. Immerzu spricht der Ich-Erzähler Bryony an und versucht sich und sein Handeln für sie rückblickend transparent zu machen und zu erklären. Dadurch liest sich die Geschichte bereits ab der ersten Seite wie ein Abschiedsbrief von Mr. Cave an seine Tochter.

Mir fiel es dabei schwer, einen Bezug zu den anderen Charakteren aufzubauen. Außer dem Protagonisten konnte ich keinen Charakter richtig greifen, da man lediglich die deutlich voreingenommene Sicht von Mr. Cave auf andere Figuren kennenlernt.

Enttäuschte Erwartungen und innere Anspannung

Bevor ich das Buch aufschlug, habe ich einen komplett anderen Roman erwartet. Das Cover ist dem Umschlagdesign anderer deutschsprachiger Ausgaben von Haig angepasst und wirkt auf den ersten Blick ansprechend und hoffnungsvoll. Sowohl die blaue Farbgebung mit silbernen Akzenten als auch der abgebildete geöffnete Käfig strahlen etwas Positives und Lebensbejahendes aus. Dieses Design ließ mich einen Roman erwarten, der sich zwar zentral mit dem Thema Angst beschäftigt, aber diese Thematik feinfühlig und mit einem optimistischen Blick in die Zukunft behandelt.

Bereits auf der ersten Seite sollten diese Erwartungen enttäuscht werden. Die Handlungen des Protagonisten Mr. Cave sind so beklemmend, dass ich beim Lesen innerlich angespannt war. Und das im negativen Sinn. Ich wollte auch nicht wissen, warum er so agierte, denn ich wusste schon vorher, dass ich kein Verständnis für seine Begründungen haben würde. Mr. Cave wirkte auf mich durchweg unsympathisch und ich konnte keine Verbindung zu ihm aufbauen. Er verhält sich so überfürsorglich, dass es einem beim Lesen schon Angst macht. Durch die Schicksalsschläge, die er in der Vergangenheit erlebt hat, hatte ich erwartet, er würde eine Trauerbewältigung durchleben, die auch den Leserinnen und Lesern Mut machen könnte. Dem ist leider nicht so. Mehrfach habe ich bereits auf den ersten Seiten damit gehadert weiterzulesen, weil mir die bedrückende, düstere Stimmung des Romans auf das Gemüt schlug. Da das Buch mit 256 Seiten jedoch noch relativ schmal ist, habe ich mich dennoch bis zum Ende mit der Geschichte befasst. Aber leider wirkte der Roman auf mich bis zur letzten Seite wie der Monolog eines Psychopaten, der seine Tochter sowie deren Umfeld tyrannisiert.

Die zerstörerische Kraft der Liebe

Die Originalausgabe erschien 2008 unter dem Titel „The Possession of Mr Cave“. Rückblickend finde ich den englischen Titel, der sich mit dem Besitz des Mr. Cave befasst, deutlich passender, da er die Dramatik stärker widerspiegelt.

„Der fürsorgliche Mr. Cave“ ist ein psychologischer Roman über die zerstörerische Kraft der Liebe. Leider bin ich mit falschen Erwartungen (sicherlich auch durch die hoffnungsvoll wirkende Umschlagsgestaltung) an das Werk herangetreten. Auch der versöhnliche Versuch auf den letzten Seiten konnte mich nicht von den Beweggründen des Protagonisten überzeugen. Zu düster. Zu verstörend. Zu negativ. Wer einen positiven Weg der Trauerbewältigung erwartet, wird von dieser Geschichte enttäuscht werden.

Der fürsorgliche Mr. Cave. Matt Haig. Übersetzung: Sabine Hübner. Droemer. 2022.

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Weiterlesen:

Rezension zu „Die Mitternachtsbibliothek“ von Matt Haig

Rezension zu „The Comfort Book“ von Matt Haig[/tds_note]

Michelle-Denise Oerding

Michelle-Denise Oerding

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