Eine Kickstarter-Kampagne ermöglichte es Autor Jonathan Green, die junge Alice Liddell im Spielbuch „Alice im Düsterland“ erneut auf ein Abenteuer zu schicken. Nur dieses Mal sind die Leser nicht unbeteiligte Beobachter der Geschichte, sondern entscheiden über Alice‘ Schicksal. Geschichtenerzähler Adrian hat Alice nicht nur einmal in den Tod geschickt.
Alice liegt auf einer Wiese, als plötzlich ein weißes Kaninchen vor ihr steht, das ihr erzählt, sie sei zu spät und müsse unbedingt das Wunderland vor der roten Königin retten. Dabei offenbart es eine tickende Uhr, welche ihm ins Fleisch seines Bauchraums eingenäht worden ist. Nachdem das weiße Kaninchen wieder weggehoppelt ist, denkt sich Alice: Warum soll sie einem Kaninchen folgen, das mehr Maschine als Tier ist? Zudem kommt ein Sturm auf und sie sollte lieber nach Hause gehen.
Moment, Moment! War das jetzt wirklich so? Ne, wartet mal. (blätter) Ach ja…
Nachdem das weiße Kaninchen wieder weggehoppelt ist, folgt Alice dem merkwürdigen Maschinentier, von dem sie glaubt, es schon einmal gesehen zu haben und landet vor einem Loch, das sehr einem Kaninchenbau ähnelt. Einfach so in einen Kaninchenbau zu klettern, ist viel zu gefährlich und es sieht auch extrem eng aus, denkt sich Alice und zudem sollte sie vor dem Sturm, der aufzieht, zu Hause sein.
Ne, das bringt doch nichts. (blätter, blätter) Also… Wiese, weißes Kaninchen, Kaninchenbau… weiter geht’s…
Nachdem Alice in den wirklich recht engen Kaninchenbau geklettert ist, beginnt sie plötzlich durch einen Tunnel zu fallen, dessen Wände mit Möbeln und Bildern gespickt sind. Sie landet sanft auf dem Boden eines Brunnens und nur ein Weg führt vorwärts, einen halbdunklen Tunnel entlang. Einige Meter den Gang runter entdeckt Alice zwei Gestalten, die eher an humanoide Uhrwerke erinnern. Was nun? Kämpfen? Versuchen, vorbei zu schleichen? Die beiden ansprechen? Hmmm… Schwierig, schwierig…
Spielregeln
Das Spielprinzip von „Alice im Düsterland“ ist eine recht einfache und grundlegende Form des „Pen and Paper“-Rollenspiel-Models. Das heißt, es bedarf nur weniger Utensilien, um mit dem Spielen zu beginnen. Wie der Name schon sagt, braucht man natürlich Stift und Papier, hinzu kommen noch zwei sechsseitige Würfel oder ein Deck mit 52 Spielkarten.
Die Seiten des Buches sind in verschiedene, nummerierte Abschnitte unterteilt. Jeder Abschnitt teilt sich ebenfalls in unterschiedliche Wege – mal einer, mal mehrere –, welche die Entscheidungen darstellen, die man treffen kann. Jede Entscheidung hat eine zugehörige Nummer, zu der man springen kann. So kann es auch mal sein, dass man von Abschnitt Nummer 16 zu Abschnitt Nummer 481 springt und anschließend bei Abschnitt 27 landet.
Köpfchen oder Muskelkraft
Im Buch befindet sich, neben einer ausführlichen und gut verständlichen Spielanleitung, auch ein sogenannter Abenteuerbogen, auf dem Alice‘ Attribute, Inventar und Kämpfe notiert werden. Ihre Attribute sind Kampf, Gewandtheit, Logik, Ausdauer und Wahnsinn. Die ersten vier beginnen beim Wert sechs und es können noch zehn Fähigkeitspunkte frei verteilt werden. Wahnsinn startet bei null und steigt und sinkt innerhalb des Abenteuers. Stehen während des Abenteuers Kämpfe oder Proben auf bestimmte Attribute an, so entscheidet über Bestehen oder Scheitern der Zufall in Form der Würfel oder Spielkarten.
Tiefe Taschen und seltsame Federn
Natürlich findet Alice auf ihrem Abenteuer im Wunderland allerhand Sachen, die es sich einzustecken lohnt. Sie könnten später ja noch nützlich werden. Neben Waffen stehen Heilitems in Form von Essen zur Verfügung sowie allerhand sonderbares Zeug. Da Alice‘ Taschen schier unendlich tief sind, braucht man auch keine Hemmungen zu haben, alles einzustecken, was geht, denn alles erfüllt irgendwann einen Zweck.
Ergänzt wird das Abenteuerblatt durch zwei Fähigkeiten, die man – zu Anfang – drei Mal verwenden kann. Die erste ist Die Feder ist mächtiger, welche es einem ermöglicht, Kämpfe zu gewinnen, ohne wirklich kämpfen zu müssen. Die zweite Fähigkeit nennt sich Seltsamer und seltsamer und führt in Kampfsituationen mit einer 99,9999-prozentigen Chance dazu, dass Kämpfe schwerer werden. Ergo, entweder ein Stückchen leichterer oder schwererer Schwierigkeitsgrad.
Links oder rechts?
„Alice im Düsterland“ gibt den Spielenden viele Möglichkeiten, ein und dieselbe Situation zu bewältigen: Mal ist es die Wahl, in welche Richtung man bei einer Weggabelung geht, hin und wieder wie man sich gegenüber potentiellen Feinden verhält oder ob man beispielsweise aus einer Flasche trinkt, auf der Trink mich! steht.
Leider werden den Spielenden auch immer wieder Entscheidungen aus der Hand genommen. So kann beispielsweise ein leicht zu verpassendes Rätsel im ersten Drittel der Geschichte dazu führen, dass man dem Tod im letzten Drittel entgeht, oder auf literarisch blutige Art und Weise sein Leben aushaucht. Dass eine falsche Entscheidung zu Beginn zum unausweichlichen Tod gegen Ende führt, kann schon ziemlich frustrierend sein. Zwar treten Situationen, in denen das Buch einem die Entscheidungen aus der Hand nimmt, nicht häufig auf, führen aber zu fatalen Ergebnissen.
Allgemein hat „Alice im Düsterland“ einen hohen Wiederspielwert. Auch wenn es Frustmomente sowie unausweichliche Situationen gibt, regt es zu mindestens drei bis vier Spieldurchläufen an, die man unbedingt nutzen sollte, um wirklich jedes Geheimnis zu ergründen.
Bekannte Figuren in neuer, alter Umgebung – und immer noch verrückt
„Alice im Düsterland“ ist ein geistiger Nachfolger des Literaturklassikers „Alice im Wunderland“ beziehungsweise „Alice hinter den Spiegeln“ von Autor Lewis Carroll, nur eben in Form eines Spielbuches. Wer die Vorlage kennt oder durch andere Medien wie Filme, Spiele, Bücher und so weiter vom Wunderland und seinen Bewohnern gehört hat, der wird hier vieles wiedererkennen, seien es Figuren wie das weiße Kaninchen, die rauchende Raupe Absalom, den Hutmacher und seine Teegesellschaft oder Schauplätze wie den Palast der Roten Königin, den Irrgarten oder den Raum mit den vielen Türen. Vieles ist gleich, anderes anders, verdreht, abnorm oder einfach nur komplett verrückt.
Allgemein schafft es Jonathan Green, die Atmosphäre des Wunderlandes wunderbar einzufangen und in diesem Buch zu transportieren, sodass es richtig Spaß macht, zusammen mit Alice diese verrückte Welt zu erkunden.
Den Kaninchenbau hinab
Das Spielbuch „Alice im Düsterland“ bietet nicht nur einen wunderbar simplen und interessanten Einstieg in das Model des „Pen and Paper“-Rollenspiels, sondern ebenso viel Spaß in der Welt von Lewis Carrolls Kult-Geschichte. Auch wenn es hier und dort einige mal kleinere, mal größere Schwachpunkte gibt und der Abschnitt im Labyrinth einen beinahe in den Wahnsinn treibt, bietet dieses Buch viele tolle und schöne Momente, zumal Figuren und einige Situationen atmosphärisch und passend illustriert sind.
Unter anderem wird endlich enthüllt, warum ein Rabe auch ein Schreibtisch sein kann – eine Frage, die bestimmt viele Menschen lange beschäftigt hat. Zudem lädt die Geschichte dazu ein, sie mehrere Male zu spielen und somit lohnen sich die 15 Euro auf alle Fälle.
Alice im Düsterland. Jonathan Green. Illustrationen: Kev Crossley. Übersetzung: Felix Heitmann. Mantikore Verlag. 2018.
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