„Wer mich in eine Schublade stecken will, braucht eine Kommode!“
So viel Musik schwingt durch die Straßen der Bücherstadt! Ein Ort, an dem Literatur und Musik sich vermischen. „Musik macht Literatur hörbar“, sagt Musiker Bodo Wartke. In einem Interview erzählt er Bücherstädter Diungo von seiner Arbeit, seinen Werken und seiner Leidenschaft für Musik und Literatur.
BK: Dass der Sohn aus einer Ärztefamilie Zivildienst macht, mag naheliegend sein, aber woher kommt die Überlegung zur Physik? Und „welcher Fingerzeig Gottes“ war es, wie Sie es selbst formulieren, dass Sie kurzerhand auf ein so „artverwandtes Fachgebiet“ wie Musik ausweichen ließ?
BW: Ich habe zwei Semester Physik studiert und danach Musik auf Lehramt. Zu Schulzeiten hatte ich ein großes Interesse an Mathe und Physik, doch im Studium habe ich schnell gemerkt, dass mir die nötige Leidenschaft dafür fehlt. Die hatte ich eher fürs Liederschreiben und Auftreten. Somit lag es nahe Musik auf Lehramt zu studieren, um mich in den Dingen, die ich sowieso schon auf der Bühne tat, weiterzubilden: Gesang und Klavier.
Musiklehrer zu sein hätte ich mir gut vorstellen können, da ich aber während des Studiums schon von der Bühne leben konnte, und beides aus Zeitgründen einfach nicht mehr ging, habe ich mich dazu entschieden, das zu tun, was ich schon die ganze Zeit leidenschaftlich gerne tat. Ich habe mich einfach getraut.
BK: Sie machen Stepptanz und Theater, schreiben Songtexte und spielen Klavier sowie andere Instrumente, von denen Sie selbst behaupten, sie nicht „Sachgemäß“ benutzen zu können. Ist das Mut oder ein Muss in Ihrer Branche?
BW: Ich tue, was mir Freude macht! Meine Vielseitigkeit ist nicht berechnet. Ich nutze meinen kreativen Quellen und wenn ich etwas schreibe, dann will ich das auch vorsingen. Ich denke nicht, dass es ein Branchen-Muss ist, vielseitig zu sein. Ich habe Kolleginnen und Kollegen, die ausschließlich singen und Klavier spielen und was die präsentieren ist genial und brillant. Allerdings habe ich mein Berufsfeld, das zudem ein weites ist, unter diesem Aspekt noch nie näher betrachtet. Eigentlich beherrsche ich nur das Klavier. Auf der Ukulele kann ich genau vier Akkorde, und bis ich die drauf hatte, hat es eine Weile gedauert. Mundharmonika und Cajón habe ich mir selbst beigebracht und spiele die mit großer Freude, aufs Perfekte kommt‘s mir da gar nicht an.
Und mit Mut hat es für mich nur bedingt etwas zu tun. Vielmehr mit einer Entscheidung, die ich getroffen habe und die ich gerne unter dem Motto ’einfach machen’ zusammenfasse. Zum einen im Sinne von Dingen tun, also loslegen und ausprobieren und nicht nur darüber reden oder sinnieren. König Ödipus ist dafür ein Beispiel. Hätte ich mich von dem Gedanken aufhalten lassen, dass ich ja kein Schauspieler bin, anstatt es auszuprobieren, wäre dieses Solo-Theater nie entstanden. Und zum anderen verstehe ich ’einfach machen’ im Sinne von leicht, verständlich und eingängig reimen, schreiben und komponieren.
BK: Gibt es eine Grenze, vor der Sie noch immer Respekt haben und nicht auf der Bühne ausleben würden?
BW: Ja, die gibt es. Ich mag keinen Humor, der auf Kosten anderer geschieht. Der einzige Mensch, über den ich mich auf der Bühne lustig mache, bin ich selbst.
BK: Wie kommen Sie auf die Idee für einen neuen Songtext? Sitzen Sie zu Hause allein an Ihrem Klavier und überlegen, was alles nicht stimmt in der Welt und was verdient hätte, sich in Ihren Strophen widerzuspiegeln? Oder kommt es auch vor, dass Sie irgendwo sitzen und sich eine Serviette greifen und hastig ihr Gedankengut hinunterschreiben?
BW: Die Situation mit der vollgekritzelten Serviette kenne ich gut. Mittlerweile bin ich aber gut gerüstet, wenn die Inspiration kommt, zücke ich mein Notizbuch, das mich überall hin begleitet. Den Stoff und die Ideen für meine Lieder nehme ich aus dem alltäglichen Leben. Oft stolpere ich zufällig über Reime, die Schlagzeile auf der Zeitung, ein melodiöses Wort in einem Gespräch oder ich erinnere mich an eine Begebenheit, die mich bewegt hat.
BK: Gibt es gewisse Grundregeln, nach denen Sie ihre Texte aufbauen? Oder ein Schema, von dem Sie genau wissen, dass nachher etwas Erfolgreiches aus Ihrer Feder geflossen ist?
BW: Meine zwei Grundregeln sind: Es lässt sich alles, was ich sagen möchte, mit der deutschen Sprache ausdrücken und das im Idealfall in Reimform. Ein Schema gibt es nicht. Ob ein Lied erfolgreich ist und beim Publikum ankommt, zeigt sich im Konzert.
BK: Was war die skurrilste Situation, die Sie verarbeitet haben? Und was ist die Geschichte hinter der Produktion?
BW: Ich schreibe seit einiger Zeit an dem Projekt „Deine Strophe“. Jeder Frauenname bekommt eine eigene, gereimte Strophe. 600 sind es mittlerweile. Frauen dürfen sich diese Strophe in meinen Konzerten wünschen. Niemand kennt alle Texte, da ich sie erst diesen Sommer veröffentlichen werde. Die einzige Strophe, in der der Ort Schwäbisch Hall genannt wird, ist die, in der ich „Chantal“ besinge. Beim Konzert in Schwäbisch Hall meldete sich tatsächlich eine Chantal und ich sang für sie: Chantal, für dich fahr ich überall hin, sogar nach Schwäbisch Hall. Das fand ich ziemlich skurril.
BK: Welches ist Ihr persönliches Lieblingsstück? Gibt es eins, das auf so „privaten Erfahrungswerten“ fundiert, dass es Sie jedes Mal berührt, wenn Sie es aufführen? Was empfinden Sie dabei?
BW: Ich habe kein persönliches Lieblingsstück. Ich mag alle meine Lieder, sonst würde ich die nicht singen. Berührt bin ich vor allem während des Schreibens und in den ersten Momenten des Ausprobierens.
BK: Wer dient Ihnen als Inspiration, wenn Sie mal eine Schreibblockade haben? Kommt es auch vor, dass Sie eine „Musik“-Blockade haben? Und wie äußern sich diese unterschiedlichen Hindernisse?
BW: Ehrlich gesagt, ich hatte noch nie Blockaden. Ich kann von Glück sagen, dass mich die Inspiration nicht verlässt und ich mehr Ideen habe, als Zeit sie umzusetzen. Natürlich fällt mir nicht immer sofort jedes Reimwort ein, wenn ich an einem neuen Text sitze, aber ich knoble so lange, bis ich die Lösung gefunden habe. Das sehe ich aber eher als zum Prozess gehörig, denn als Blockade.
BK: Vergleichen Sie sich oft mit anderen Künstlern, wie z.B. Rainald Grebe, Felix Reuter oder Sebastian Krämer? Ist zwischen Ihnen eine freundschaftliche Konkurrenz oder eher eine kollegiale Beziehung, aufgrund desselben Musikinstrumentes, das Ihnen erlaubt, sich auszudrücken?
BW: Ich empfinde keine Konkurrenz. Die große Klammer, Schublade oder das Label ‚Klavierkabarett‘ lässt mich eher eine Verbundenheit spüren. Ich bin, zum Beispiel, mit Sebastian Krämer seit Jahren befreundet und diese Freundschaft befruchtet uns auch künstlerisch. Und ja, ich vergleiche mein Klavierspiel, die Technik oder die inhaltliche Themenvielfalt mit der der Kollegen. Das tun wir vermutlich alle. Vergleichen hilft sich zu orientieren. Ich passe aber genau auf, beziehungsweise ich habe mittlerweile gelernt, meinen eigenen gefühlten Wert oder den Wert, den ich meiner Musik und meinen Liedern beimessem, nicht von einem Vergleich mit einem Kollegen abhängig zu machen. Søren Kierkegaard hat so treffend formuliert: Das Vergleichen ist das Ende des Glücks und der Anfang der Unzufriedenheit.
BK: Wem muten Sie Ihre „Work in Progress“-Lieder zu?
BW: In den unterschiedlichen Entstehungsphasen meiner Lieder können das meine engsten Freunde sein. Oft auch das Team in meinem Verlag oder das Publikum der Scheinbar in Berlin. Einer kleinen Bühne, auf der das Experimentieren geradezu erwünscht ist. Vor Premieren lade ich auch gerne zu Testkonzerten ein oder ich spiele neue Lieder als Zugabe in regulären Programmen. Das Publikum geht oft am meisten mit, wenn ein Stück brandneu und noch ganz „roh“ ist. Das sind die spannendsten Momente!
BK: Erst ein Solo-Theater und jetzt mit einem ganzem Orchester. Wie kam es zu diesem Wandel? Und wie empfinden Sie diesen Unterschied?
BW: Für mich ist das kein Wandel weg von dem, was ich bisher tat, hin zu etwas völlig Neuem. Ich lasse ja nicht das Klavierkabarett fallen, um Theater zu spielen oder um nur noch mit dem Capital Dance Orchestra aufzutreten. Es ist eine Erweiterung und Ergänzung meines Spektrums. Ich experimentiere ständig mit verschiedenen Ideen, eben weil es mich reizt Unterschiedliches auszuprobieren. Natürlich ist es wirtschaftlicher und Kräfte schonender, eine Tournee mit Orchester am Stück zu machen, aber davor und danach trete ich nach wie vor mit König Ödipus und meinem Klavierkabarett auf und parallel entstehen schon wieder neue Projekte.
BK: Wo beginnt für Sie Literatur und wo endet Musik? Oder andersherum: ab wo haben Sie das Gefühl, dass Ihre Texte sich in Musik wandeln?
BW: Mich interessiert Literatur, die musikalisch ist und Musik, die literarische Qualitäten aufweist. Für mich hat die gesprochene Sprache per se etwas Musikalisches. Wenn ich texte, dann lausche ich gewissermaßen auf die Melodie, die den Worten innewohnt. Reime sind für mich ein Stilmittel die Musik der Sprache zu wecken, sie zum Klingen zu bringen, deshalb lege ich darauf soviel Wert. Musik macht Literatur hörbar.
BK: Viele Literaturinteressierte stellen sich oft die Frage: Was ist Literatur? Wie würden Sie diese Frage beantworten? Und stellt sich Ihnen als Musiker auch die Frage: Was ist Musik? Gibt es „Musik“, die Sie nicht unbedingt als Musik bezeichnen würden?
BW: Bei beidem ist mir wichtig, dass es ehrlich gemeint ist und ehrlich gemeinte Emotionen zum Ausdruck kommen. Das ist bei Musik z.B. immer hörbar. Musik ist Gefühl übersetzt in Schall. Bei Literatur empfinde ich ebenso, es ist lesbar oder erkennbar, aus welcher Emotion heraus sie geschrieben ist.
BK: Seit 1996 sind Sie fast jährlich Preisträger. Welcher Preis entspricht Ihrer Meinung nach am ehesten dem, was sie tun? Ist es der „Kleinkunstpreis?“, der „Kabarettpreis?“ der „Publikumspreis?“, der Preis in der Sparte „Chanson“? Glauben Sie, Ihr erster Preis in der Sparte „Sonderpreis“ trifft den Nagel auf den Kopf? Oder haben sich alle geirrt und es müsste eine vollkommen andere Sparte sein?
BW: Also, den letzten Preis erhielt ich 2008, das ist schon 6 Jahre her. Zu Beginn meiner Karriere war es der übliche Weg, als junger unbekannter Kabarettist an vielen Festivals und Wettbewerben teilzunehmen, um sich so einem Publikum vorzustellen. Der Wettbewerbsgedanke war mir schon immer unangenehm, womit wir wieder beim Thema „Vergleich“ wären, aber natürlich habe ich mich sehr gefreut, wenn ich Preise bekam, vor allem die Publikumspreise. Ich sage gerne: Wer mich in eine Schublade stecken will, braucht eine Kommode!
BK: Wie, glauben Sie, kommt es zu diesem großen jahrelangen Erfolg?
BW: Meinen Fans gefällt, was ich mache. Das ist schlicht und einfach die Basis meines Erfolges! Sie kommen zu meinen Konzerten und bringen Familie und Freunde mit und die mitgebrachten Gäste machen es beim nächsten Konzert genauso. Ich fahre ja keine millionenschwere Werbestrategie und bin auch im Fernsehen relativ selten zu sehen. Aber ich habe eine sehr gute Website, die meine Lieder und Videos präsentiert und das ergänzt die Mundpropaganda meiner Fans sehr gut.
BK: Wie kann man sich einen Tag im Leben von Bodo Wartke vorstellen?
BW: Ich liege eigentlich den ganzen Tag am Pool und telefoniere zwischendurch mit meinen Ghostwritern. Wegen der zahlreichen gesellschaftlichen Verpflichtungen wie die Empfänge im Roten Rathaus, Flughafen-Galas und Preisverleihungen komme ich nur selten zum Golf spielen mit meinem Kumpel Mario Barth. Ich treffe mich aber regelmäßig mit Dieter Bohlen, Kai Diekmann und Daniela Katzenberger, denn wir planen neben einer gemeinsamen Modelinie auch eine Spendengala für die Deutsche Bahn. Zurzeit hält mich der Plan einer eigenen Koch-Show auf Trab! Das Konzept ist genial: Ich schneide Gemüse und singe dazu!
Scherz beiseite: Das Private möchte ich an dieser Stelle gerne unerwähnt lassen, sonst wäre es ja nicht mehr privat. Ein Tourtag sieht bei mir so aus: Morgens, oft zu einer einstelligen Uhrzeit stehe ich auf und mache mich reisefertig. Per Taxi geht es zum Bahnhof und per Bahn zum Auftrittsort. Im Zug erledige ich meine Korrespondenz, vor allem eine Unzahl an Mails, und ich telefoniere mit meinem Büro in Hamburg. Gefrühstückt wird unterwegs.
Am Auftrittsort holt mich mein Tourmanager vom Bahnhof ab und wir fahren zum Konzertsaal. Unterwegs besprechen wir Neuigkeiten und anstehende Interviews. Angekommen, meist zwischen 14 und 15 Uhr, richte ich mich in der Garderobe ein und begrüße mein Tourteam. Danach stehen Soundcheck, Licht einrichten, Körperübungen und Klavierspielen auf dem Ablaufplan. Dazwischen Interviews für die lokale Presse und ein gemeinsames Abendessen mit dem Team.
Schließlich gibt es noch eine halbe Stunde Konzentration in der Garderobe und dann beginnt um 20 Uhr das Beste vom Tag: das Konzert! Je nach Stimmung im Saal kann es schon mal dreieinhalb Stunden dauern. Oft gebe ich anschließend noch Autogramme und wenn ich in einer Stadt bin, in der Freunde von mir leben, treffe ich mich oft mit diesen. Zu Bett gehe ich nicht vor ein Uhr, daher habe ich auch eine ausgeprägte Abneigung gegen einstellige Aufstehzeiten. Leider lässt es sich nicht vermeiden, denn ich spiele meistens vier Konzerte in der Reihe, dann mache ich eine drei- oder viertägige Pause und dann kommen die nächsten vier Konzerte.
BK: Sie sagten: „Wer mich versucht in eine Schublade zu stecken, braucht schon eine Kommode.“ Daher würden wir gerne ein Experiment mit Ihnen machen und Ihnen die Frage stellen: Wenn diese Kommode ein Bücherregal wäre – welche Titel würde es enthalten? Gibt es welche, die Sie inspiriert und geprägt haben?
BW: Also, die drei wichtigsten Titel wären Antigone und Ödipus von Sophokles sowie Wilhelm Tell von Schiller. An diesen Dramen reizt mich die Unausweichlichkeit. Obwohl man weiß, wie es enden wird, bleiben diese Bücher bis zum Schluss fesselnd. Als Schüler sah ich das nicht so, heute aber schon. Es geht hier eben nicht nur um das Ziel, sondern auch um den Weg. Mich fasziniert das Aufeinandertreffen unterschiedlicher, integerer Prinzipien und der daraus erwachsenden Konflikte. Jede Person ist bereit, für ihre Ideale in den Tod zu gehen. Spannend.
BK: Am Ende eines Interviews stellen wir gerne unsere zwei „Bücherstadt Kurier“- Fragen. Stellen Sie sich vor, sie wären ein Buch – welches wären Sie und warum?
BW: Ich wäre ein Reimlexikon für ungewöhnliche Reime, die in keinem anderen Reimlexikon stehen. Speziell für wort- und satzübergreifende Reime.
BK: Welche Frage wollten Sie schon immer mal in einem Interview gestellt bekommen haben und wie wäre Ihre Antwort darauf?
BW: Meine absolute Lieblingsfrage ist „Welche Frage wollten Sie schon immer mal in einem Interview gestellt bekommen haben?“ Und meine Antwort darauf wäre: Die spannendsten Fragen sind oft solche, die mir noch nicht gestellt wurden, somit Fragen, die ich noch nicht kenne und hier nicht benennen kann.
Dieses Interview erschien erstmals in der 13. Ausgabe des Bücherstadt Kuriers.
Foto: Nele Martensen
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