Was tun, wenn man eigentlich hätte sterben sollen, und nun plötzlich, dank eines Wunders, doch einfach so nach Hause spazieren kann? Geht man zurück in sein altes Leben? Vor diesem Problem steht die Protagonistin in Amy Reeds neuem Roman „Abschied für immer und nie“. Worteweberin Annika hat den Roman gelesen und lange gebraucht, um sich ein Urteil darüber zu bilden.
Vor ihrer Krebserkrankung war Evie beliebt, bildhübsch, glücklich. Als Cheerleaderin mit gutaussehendem Freund war sie der Prototyp eines amerikanischen Highschool-Mädchens. Dann jedoch wurde bei ihr Krebs diagnostiziert und nun lebt Evie im Krankenhaus. Ihre Eltern machen für sie große Schulden und ihre Freunde haben sie fast vergessen. Die Beziehung zum Highschool-Schönling aber hält, und Evie findet im Krankenhaus neue Freunde: Stella und Caleb, die ebenfalls an Krebs erkrankt sind und Evie als einzige verstehen können.
Plötzlich stirbt Stella ganz unerwartet, und hinterlässt Evie eine Tüte mit Marihuana und eine Botschaft: „Vergiss nicht, auf die Kacke zu hauen. Mach mich stolz, Cheerleader.“ Als kurz darauf ein Wunder geschieht und Evie plötzlich geheilt ist, bekommt sie die Chance dazu. Doch nach der langen Zeit im Krankenhaus hat Evie ganz vergessen, wer sie eigentlich ist und wer sie sein möchte, um Stella stolz zu machen. Schließlich trifft sie auf Marcus, in den sie sich verliebt und der ihr Halt gibt, und verlässt für ihn ihren Freund. Aber auch mit Marcus ist das Leben nicht einfacher. Evie rennt so von einer Sackgasse in die nächste, ohne ihr Leben wirklich in die Hand nehmen zu können.
Eine unkonventionelle „Krebsgeschichte“
Amy Reeds Roman erzählt nicht die typische romantisch-traurige Krebsgeschichte von Liebe, die die Krankheit besiegt, oder zumindest erträglich macht. Was Evie passiert, ist bedrückender, grausamer und wahrscheinlich auch deutlich näher an der Realität: Die Heldin (wenn man sie denn so nennen möchte) macht einen Abstieg in die Abgründe des Lebens, kämpft mit Drogen, Alkohol und Tabletten gegen die Sinnlosigkeit des Lebens nach dem Überleben. Da muss man beim Lesen manchmal ganz schön schlucken, fühlt sich ab und zu vielleicht sogar regelrecht abgestoßen von Evies Benehmen. Wer einen Wohlfühlroman erwartet, ist hier also definitiv an der falschen Adresse. Hat man allerdings Lust, sich auf etwas Neues einzulassen, und betrachtet die Lektüre eher als Denkanstoß, dann kann „Abschied für immer und nie“ viele neue Blickwinkel und Sichtweisen eröffnen.
Gerade durch die Erzählperspektive, nämlich eine Ich-Erzählung aus der Sicht der Protagonistin, reißt der Roman schnell in seinen Bann, und manchmal kann dann die nächste Seite gar nicht schnell genug kommen. Evies Abstieg ist meistens sehr glaubhaft und fesselnd beschrieben, in gewisser Weise macht der Leser diesen Weg mit – wie gesagt aber mit einer gehörigen Portion Fassungslosigkeit. An einigen Stellen allerdings hätte man sich dann doch ein bisschen mehr Glaubhaftigkeit gewünscht, insbesondere bei Evies erstem Treffen mit Marcus. Statt eines besonderen Moments oder eines Knisterns zwischen den beiden, findet sich nur ein Gedankengang nach dem Motto: „Oh mein Gott, er sieht gut aus, ich habe mich verknallt!“ Dadurch spart man sich in jedem Fall viel Kitsch, aber der Funke springt so auch nicht ganz über. Andererseits ist es vielleicht auch das, was Evies Welt ausmacht, denn rational sind ihre Entscheidungen und Handlungen sowieso nicht.
Ein Roman im Zwiespalt
„Abschied für immer und nie“ passt für mich nur schwer in die typischen 5 Bewertungsstufen unseres Laternensystems. Während des Lesens war ich manchmal erschrocken, manchmal berührt, manchmal angewidert. Gleichwohl habe ich nachher lange über die Geschichte nachgedacht, hatte das Gefühl, sie habe etwas in mir bewegt. Letztendlich, nach dem Nachdenken, fand ich den Roman sehr gut, aber ich kann auch jeden verstehen, der sich kein Stück darin wiedergefunden hat und dem die Geschichte nicht gefallen hat. Wahrscheinlich muss man vorher wissen, was einen ungefähr erwartet, wenn man „Abschied für immer und nie“ aufschlägt, und sich darüber bewusst werden, ob es das ist, was man lesen möchte.
Abschied für immer und nie. Amy Reed. Aus dem amerikanischen Englisch von Maike Müller. Harper Collins. 2015.
Ist gleich auf meine Lesewunschliste gekommen. Wenn die Stimmung passt, werde ich es mir vornehmen. 🙂
Dabei wünsche ich Dir ganz viel Spaß – wenn die Stimmung passt, kann man den mit dem Buch sicherlich haben 🙂