Die „Queen of Crime“ ist zurück

von | 30.06.2025 | #buch&kunst, Buchpranger, Graphic Novels, Comics, Manga, Specials

„Die Tote in der Bibliothek” und „Tod auf dem Nil“ sind Klassiker der Kriminalliteratur und als Teil der Reihe „Agatha Christie Classics“ seit Kurzem auch als Bildergeschichten zu lesen. Buchstabenakrobatin Melanie hat die Ermittlungen von Miss Marple und Hercule Poirot mit Spannung begleitet.

„Die Tote in der Bibliothek”

Mit einer unbekannten Frau, die tot im eigenen Haus aufgefunden wird, sollte kein Tag beginnen. Doch Oberst Arthur Bantry und seine Frau Dorothy stehen genau dieser Situation gegenüber. Während Mr. Bantry darauf vertraut, dass die Polizei das Rätsel um die Tote in der Bibliothek lösen wird, wendet sich Mrs. Bantry an ihre Freundin Jane Marple. Die unscheinbare ältere Dame hat ein unschlagbares Gespür dafür, Zusammenhänge zu erkennen, Menschen und ihre Beziehungen zu durchschauen und Geheimnisse aufzudecken. Es beginnt ein ebenso spannender wie unterhaltsamer Schlagabtausch zwischen Polizei und Hobbydetektivin, die auf ein komplexes Netz aus Verdächtigen, falschen Fährten und ungeahnten Verbindungen stoßen.

Die Neuinterpretation des Christie-Klassikers als Comic stammt aus der Feder von Dominique Ziegler und Olivier Dauger, der die Erzählung illustrierte. Dauger versetzt den 1942 erschienenen Krimi mit seinen Zeichnungen gekonnt in die 1960er Jahre. Immer wieder finden sich Details wie Konzert- oder Wahlplakate, die den Zeitgeist widerspiegeln. Die Gegenüberstellung des pompösen Landhauses der Familie Bantry mit dem beinahe futuristisch anmutenden Haus des verdächtigen Musikers greift die Gegensätze zwischen den Figuren auf.

Oliver Dauger setzt wie sein Vorgänger Chaiko, der den ersten Band der Reihe illustrierte, auf eine übersichtliche Bildabfolge aus verschieden großen Panels, die auch ungeübte Comicleser*innen mühelos durch die Erzählung leiten. Die Panels sind nicht überfrachtet und meist in gedeckten Farben gehalten. Dennoch gibt es immer wieder Details zu entdecken, die die Bilder besonders machen. Die Darstellung aus unterschiedlichen Perspektiven, zum Beispiel der Blick aus der Vogelperspektive auf das Mordopfer in der Bibliothek, sorgt zusätzlich für Abwechslung.  

Ziegler gelingt es, die Kriminalhandlung in der zwangsläufig gekürzten Comicversion nachvollziehbar und spannend zu erzählen. Um die komplexen Handlungsstränge und Figurenkonstellationen angemessen aufgreifen zu können, benötigt er an der einen oder anderen Stelle verhältnismäßig viel Text. Dadurch musste eine recht kleine Schriftart gewählt werden, die das Lesen leider anstrengend macht. Trotz der erhöhten Textmenge bleibt die Comic-Heldin sowohl im Bild als auch im Text ein wenig blass. Denke ich an Miss Marple, habe ich die großartige Margaret Rutherford vor Augen, die in den 1960er Jahren die britische Amateurdetektivin in vier Spielfilmen verkörperte. An diese schillernde Figur kommen Ziegler und Dauger nicht heran. Und trotzdem kann ich ihre Interpretation von „Die Tote in der Bibliothek“ für einen gemütlichen Abend mit Tee und Keksen empfehlen. Denn es gibt viel zu entdecken und einen spannenden Fall zu lösen.

„Tod auf dem Nil“

Isabelle Bottier und Callixte werden mit der rätselhaften Geschichte um Linnet Ridgeway zu Wiederholungstätern: Im Oktober 2024 gestalteten sie bereits gemeinsam die Comicversion von „Hercule Poirots Weihnachten“. In „Tod auf dem Nil“ begleiten sie Ermittler Hercule Poirot nun statt in den verschneiten Sitz der Familie Lee auf einer Dampfschifffahrt auf der Karnak durch den Nil. Aufzuklären ist der Mord an der frischverheirateten Amerikanerin, die mit ihrem Mann Simon Doyle und einer Gruppe illustrer Reisender in Afrika unterwegs war. Verdächtig ist jeder und jede, denn mindestens einen Grund, Linnet Ridgeway mit einem Kopfschuss zu töten, hatten sie alle.

„Tod auf dem Nil“ ist einer der bekanntesten Romane von Agatha Christie, wurde vielfach verfilmt und ruft bei vielen bereits unterschiedliche Bilder hervor. Die atmosphärische Beschreibung der Nillandschaft wurde schon in der Originalfassung hochgelobt – hier heranzukommen, war sicherlich eine Herausforderung für Callixte. Doch es ist gelungen: Die gewählte Farbgebung und Detailverliebtheit sorgen dafür, dass die Szenen auf der Karnak und in den archäologischen Stätten stimmungsvoll erscheinen. Der Comickünstler beweist zudem erneut sein Geschick dafür, Emotionen ausdrucksstark in Mimik und Gestik seiner Figuren zu transportieren. Gefallen hat mir außerdem die Karte, die Vor- und Nachsatzpapier ziert. Auf ihr sind viele Handlungsorte der Christie-Krimis verzeichnet – eine schöne Ergänzung.

Auch Isabelle Bottier hat erneut gezeigt, dass sie die feingesponnenen Handlungen der Krimikönigin geschickt kürzen und über die Figurenrede nachvollziehbar erzählen kann – ohne Einbußen in puncto Spannung. Wie auch in den anderen Titeln der Reihe gibt es hier und da ein paar Abstriche in der Tiefe der Figuren, dem Lesegenuss kann das aber nur wenig anhaben.

Gern mehr davon

Beide Comic-Adaptionen setzen die Reihe „Agatha Christie Classics“ gekonnt fort. Die kleinen Kritikpunkte nehmen den Kriminalgeschichten weder Spannung noch Komplexität. Einzelne Figuren verlieren durch die neue Erzählform zwar an Tiefe und der begrenzte Seitenumfang erlaubt es nicht, alle Nebenhandlungen auszuerzählen, doch genau diese Verkürzung des Originals ist notwendig, damit die Comics die Fälle nachvollziehbar einfangen können.

Für den Herbst ist mit „Die Morde des Herrn ABC“ der fünfte Band der Reihe geplant. Ich bin gespannt, ob Frédéric Brémaud und Alberto Zanon mit ihrer Umsetzung an ihre Vorgänger*innen anknüpfen können. In Band sechs dürfen wir dann hoffentlich mehr von der wachsamen Miss Marple lesen.

  • Die Tote in der Bibliothek. Ein Miss-Marple-Krimi. Nach dem Roman von Agatha Christie. Szenario: Dominique Ziegler. Zeichnungen und Farben: Olivier Dauger. Aus der Reihe „Agatha Christie Classics“. Carlsen Comic. 2024. Ab 12 Jahren.
  • Tod auf dem Nil. Ein Poirot-Krimi. Nach dem Roman von Agatha Christie. Szenario: Isabelle Bottier. Zeichnungen und Farben: Callixte. Aus der Reihe „Agatha Christie Classics“. Carlsen Comic. 2025. Ab 12 Jahren.
Melanie Trolley

Melanie Trolley

Die Leidenschaft für das geschriebene Wort hat Melanie nach Bremen und dort an die Uni verschlagen. Das Studium der Germanistik hat ihr einen veränderten Blick auf Bekanntes ermöglicht, die Augen für Neues geöffnet und Begeisterung fürs Bilderbuch entfacht. Als Texterin arbeitet Melanie täglich daran, die richtigen Worte zu finden – im Beruf vorerst ohne literarische Berührungspunkte.

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