Buchstabenakrobatin Melanie und Satzhüterin Pia stellen drei Bücher vor, die sie kürzlich gelesen haben – und zumindest Melanie hat zwei Lesetipps für euch gefunden.
„Mit dir, da möchte ich im Himmel Kaffee trinken“
Wie gut, wenn man im Leben jemanden hat, der einem Halt gibt. Für Elisa ist dieser jemand Schriftstellerin Mascha Kalélo. Auf einer Zugreise von Zürich nach Hamburg erzählt die 39-jährige Elisa der Dichterin – zumindest gedanklich – von ihrem Leben, das von Wut, Angst und Liebe durchzogen ist. „Mit dir, da möchte ich im Himmel Kaffee trinken“ ist Sarah Lorenz‘ Debütroman und zugleich eine literarische Liebeserklärung an Mascha Kaléko. Jedes Kapitel des Buches wird durch ein Gedicht Kalékos eingeleitet. Anschließend knüpfen die Erfahrungen von Protagonistin Elisa an dieses an. Neben Kaléko verirren sich weitere literarische und popkulturelle Anspielungen und Persönlichkeiten in das Buch, die die Liebe zur Literatur von Protagonistin und Autorin unterstreichen.
Lorenz‘ schmaler Erstlingsroman ist jedoch alles andere als eine heitere Reise durchs Bücherregal. Das Leben ihrer Protagonistin ist durchzogen von Zurückweisungen, physischer und psychischer Gewalt durch andere und gegen sich selbst, von Drogen, Missbrauch und vom Tod. Im inneren Monolog erzählt sie der geschätzten Dichterin, wie es ihr gelungen ist, stets weiterzumachen und trotzdem an das Leben und die Liebe zu glauben.
Obwohl auch ich eine große Sympathie für Kaléko hege, störte mich die Ansprache der Dichterin stellenweise. Die Gemeinsamkeiten, die zwischen Elisa und Kaléko hergestellt werden, beispielsweise wenn Elisa ihre Erfahrungen und Gefühle mit denen der Schriftstellerin vergleicht, empfand ich mehrmals als zu konstruiert, zu gewollt. Und trotzdem ist „Mit dir, da möchte ich im Himmel Kaffee trinken“ ein Buch, das sich zu lesen lohnt. Denn Lorenz‘ Roman ist eine Liebeserklärung an das Leben, das auch nach traumatischen Erlebnissen wert ist, gelebt und geliebt zu werden. (bm)
Mit dir, da möchte ich im Himmel Kaffee trinken. Sarah Lorenz. Rowohlt. 2025.
„Egal wohin, Baby“
Christoph Ransmayr vereint in seinem Roman „Egal wohin, Baby“ gleich siebzig Geschichten, wobei keiner der Mikroromane, wie sie der Autor nennt, länger als drei Seiten ist. Ausgangspunkt und Erzählanlass jedes Mikroromans ist eine von ebenfalls siebzig schwarz-weiß Fotografien – keine künstlerischen Bilder, lediglich Schnappschüsse unterschiedlichster Art. In den chronologisch ungeordneten Geschichten erzählt Lorcan, wie Ransmayer die Erzählstimme des Romans in einem Vorwort nennt, um Distanz zu seiner eigenen Person zu schaffen, von seinen Erinnerungen und Gedanken, die mit den Bildern seiner Reisen und damit mit unterschiedlichen Ländern, Kulturen und (historischen) Ereignissen verbunden sind. Die tagebuchähnlichen Reiseerinnerungen tragen die Leser*innen mal zu einer Flussfahrt in Tokio oder einer Nordpolexpedition, dann nach Brasilien und Griechenland. Immer wieder stößt Lorcan auf (unaufgearbeitete) Spuren von Verbrechen gegen Tiere und Menschen, beispielsweise durch die Nationalsozialisten und das Regime Pol Pots in Kambodscha.
Neben thematisch schweren und bedrückenden Geschichten finden sich in „Egal wohin, Baby“ phantasievolle Beobachtungen, philosophische Überlegungen und ironische Zeilen – die jedoch allesamt nachwirken und zum Nachdenken anregen. In den Mikroromamen zeigt sich ein weiteres Mal das Sprach- und Erzähltalent von Christoph Ransmayr. Die kurzen Texte sind besonders geeignet, wenn die Zeit für den großen Roman fehlt, um kurze Bahn- und Busfahrten literarisch zu füllen oder die Kaffeepause zu ergänzen. Thematische Tiefe, literarische Besonderheiten und Denkanstöße kommen auch in der Kürze der Mikroromane nicht zu kurz. (bm)
Egal wohin, Baby. Mikroromane. Christoph Ransmayr. S. Fischer. 2024.
„Introvertiert – na und?“
Introvertierte Personen sind einfach schüchtern – mit diesem Vorurteil möchte die Comedienne und selbst introvertierte Autorin Saskia Fröhlich gerne aufräumen. Von Party-Anekdoten über Ex-Partner-Geschichten hin zu Wohnungssuche und Kindheitserinnerungen zieht die Autorin das Buch über persönliche Erfahrungen auf. Diese zeigen exemplarisch die Lebensumstände als introvertierte Person in einer eher extrovertiert ausgerichteten Welt auf.
Saskia Fröhlich richtet das Buch sowohl an Introvertierte als auch an Extrovertierte. Sie wirbt für gegenseitiges Verständnis und erklärt den Unterschied zwischen Introversion, Schüchternheit und mangelndem Selbstbewusstsein – Eigenschaften und Begriffe, die oft in einen Topf geschmissen werden. Grafiken, Farbakzente und verspielte Piktogramme sorgen für ein lockeres Layout – was gut zur ebenso lockeren Erzählweise passt.
Diese Erzählweise bleibt jedoch insgesamt auf einer flachen, repetitiven und humorvoll-anekdotischen Ebene. Ebenfalls eine „Schippe zu viel Persönliches“ ist die Tatsache, dass ihr Partner Co-Autor ist und auch ein Kapitel selbst beiträgt. Der tatsächliche Inhalt hätte auch in einem deutlich kürzeren Artikel erzählt werden können. Der Stil ist zwar abwechslungsreich – innere Monologe, gedankliche Gespräche, Anekdoten und Geschichten aus der persönlichen Vergangenheit und Einordnungen dessen von der „Jetzt-Saskia“ – für meine Begriffe ist das alles jedoch zu angestrengt humorvoll. Möglich, dass hier das Hörbuch die bessere Wahl gewesen wäre – eingelesen wurde dies von Fröhlich selbst und damit vielleicht eher im Stil der Instagram-Videos oder Stand-Up-Comedy, für die die Autorin bekannt ist.
Unterm Strich ist „Introvertiert – na und?“ wohl für Fans der Comedienne oder introvertierte Personen besser geeignet und hat mich entsprechend leider fast gar nicht abgeholt. (sp)
Introvertiert. Saskia Fröhlich. Co-Autor: Maximilian Winkel. Fischer. 2024.
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