Female Rage und pinke Cover

von | 30.05.2025 | Stadtgespräch

Ist das noch Feminismus oder nur Girl-Boss-Ästhetik?

Bücher wie „Mein Jahr der Ruhe und Entspannung“ von Ottessa Moshfegh, „Bunny“ von Mona Awad und „Die Wut, die bleibt“ von Mareike Fallwickl stehen stellvertretend für einen Boom an literarischen Abhandlungen all dessen, was die Gesellschaft allzu gerne an Frauen verachtet: Wut. Diese Bücher sind längst tief in die Welt der Literatur vorgedrungen – und das zumeist gehüllt in das breite Farbspektrum von hellrosa bis knallpink. Warum sich der wütende Feminismus genau diese Farbe gerne zu eigen macht und was das über unsere Definition von Weiblichkeit aussagt – dieser Frage hat sich Bücherstädterin Andrea gewidmet.

Wut und Frustration – vor allem auf die Protagonistin?

Wütende, hinterhältige, misstrauische und selbstbezogene Frauen sind ein Tabuthema in unserer Gesellschaft, denn für Frauen ist gemeinhin eine fürsorgliche und immer verständnisvolle Rolle vorgesehen. Viele Autorinnen setzen sich mittlerweile jedoch mit den Facetten weiblicher Wut auseinander – was sie bedeutet und was sie bezwecken kann, beispielsweise Ottessa Moshfegh. Ihre namenlose Protagonistin in „Mein Jahr der Ruhe und Entspannung“ ist genervt von allen – vor allem ihrer besten Freundin, über die sie kein gutes Wort verliert. Im Endeffekt richtet sie ihren Hass auf die Welt, aber vorrangig auf sich selbst: In Form von gefährlichen Mischungen aus Schlafmitteln und anderen Psychopharmaka möchte sie ein Jahr lang schlafen. Auch Irina, die Protagonistin aus Eliza Clarks „Boy Parts“, lernen wir als manipulativ und selbstzerstörerisch kennen, was in gewaltvollen Handlungen und Machtmanipulation ihrerseits ausufert. Beide Frauen brechen mit dem klassischen Frauenbild und lösen dadurch bei den Lesenden oft genau jene Gefühle aus, mit denen sie selbst zu kämpfen haben: Wut, Unverständnis und Empörung.

Die Protagonistin aus „Mein Jahr der Ruhe und Entspannung“ reagiert auf die Erwartungen der Gesellschaft zum Beispiel mit einem radikalen Rückzug. Sie verweigert sich all den Werten, die in ihrer Heimat, dem schicken New York, so verehrt werden: Selbstoptimierung und Produktivität bis zur Erschöpfung. Sie verweigert damit zu „funktionieren“. Das kann in Lesenden, die diese Werte des Kapitalismus tief internalisiert haben, Empörung und dieselbe Wut auslösen, die die Protagonistin gegenüber dem System spürt.

Irina aus „Boy Parts“ provoziert noch einen Schritt heftiger: Sie ist Fotografin und sexualisiert ihre männlichen Models, wodurch gesellschaftliche Erwartungen an Machtverhältnisse umgekehrt werden. Außerdem ist sie manipulativ und verhält sich oft verstörend, wodurch sie unbequem und schwer zu mögen ist. Genau das macht diese Figuren jedoch so wirkungsvoll: Sie machen wütend. Sie lösen etwas aus.

Bei beiden – Protagonistinnen und Lesenden – entspringt diese Wut häufig einer gemeinsamen Wurzel: Überforderung, Verzweiflung und Selbsthass – ausgelöst durch die strukturellen Ungleichheiten des Patriarchats, das für Frauen nur die fürsorgliche, immer verständnisvolle Rolle vorsieht. Die Leser*innen werden so mit ihren eigenen Vorstellungen von Geschlechterrollen konfrontiert.

Pink ist eine starke Farbe?

Ein Blick in die Buchhandlung verrät: Der Feminismus trägt Pink. Diese Bücher stehen für Geschichten von Frauen, die sich nicht in patriarchale Normen pressen lassen und einen ungeschönten Blick auf die Auswirkungen dieser auferlegten Ideale werfen. Und das ohne Angst vor „unschönen“ Emotionen. Der Griff zum Pink ist eine neue Bedeutungszuschreibung, ein ironischer Bruch mit dem, was wir vom Rosa erwarten. Hinzugefügt sei jedoch, dass diese Neuauflage der Farbe Pink als „Girl-Boss Magenta“ aus derselben Feder stammt wie noch in den Neunzigern: jener der Marketingabteilung. Kulturwissenschaftlerin Angela McRobbie beschreibt das in „The Aftermath of Feminism“ als eine „postfeministische Maskerade“ – ein Phänomen, bei dem feministische Ideen zwar vordergründig präsent sind, aber durch ihre schicke, vermarktbare Verpackung oft genau das verlieren, was sie eigentlich ausmacht: ihre Widerständigkeit.

Was Wut kann

Letztendlich räumen diese Bücher aber doch mit der Tabuisierung weiblicher Wut auf. Auch wenn es zunächst darum geht, den ungesehenen Schmerz sichtbar zu machen und den damit verbundenen Emotionen Raum zu geben. Der Rückzug in „Mein Jahr der Ruhe und Entspannung“ muss beispielsweise nicht als Schwäche interpretiert werden, sondern kann als ein tiefer Widerwille und stiller Protest gegen den Status quo gedeutet werden. Ihr Aufstand kann zum Nachdenken anregen und besitzt politische Kraft. 

In der feministischen Theorie wird weibliche Wut zunehmend als produktive Kraft verstanden – als Antrieb zur Veränderung. Soraya Chemaly schreibt in „Rage Becomes Her“, dass Wut nicht zerstörerisch, sondern transformativ sein kann, wenn Frauen sie nutzen, um auf Missstände hinzuweisen und sich aus unterdrückenden Strukturen zu befreien.

  • Mein Jahr der Ruhe und Entspannung. Ottessa Moshfegh. Liebeskind. 2018.
  • Bunny. Mona Awad. Penguin Books. 2019.
  • Die Wut, die bleibt. Mareike Fallwickl. Rowohlt. 2022.
  • Boy Parts. Eliza Clark. Harper Perennial. 2023.
  • Rage Becomes Her. Soraya Chemaly. Atria. 2019.
  • The Aftermath of Feminism: Gender, Culture and Social Change. Angela McRobbie. Sage. 2008.

Andrea Wessely

Andrea Wessely

Da Andrea neben Literaturwissenschaften auch Psychologie studiert hat, faszinieren sie besonders Bücher, die tief in die menschliche Psyche eintauchen. Mit demselben Scharfsinn widmet sie sich auch ihren Rezensionen in der Bücherstadt. Außerdem gestaltet sie mit Vorliebe kreative Beiträge für unsere Social-Media-Kanäle und verbindet dabei Sprache und Bild zu einem stimmigen Gesamtkonzept. Wenn sie gerade nicht für das Bücherstadt Magazin arbeitet, schreibt sie an ihren eigenen Geschichten oder geht mit Freundinnen ins Kino.

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