Heldenreise vs. Open World?

von | 20.02.2020 | Open World Games, Spielstraße

Zeichensetzerin Alexa hat sich in ihrer Bachelorarbeit mit der Frage beschäftigt, inwieweit ludische (spielerische) und narrative Strukturen zusammenhängen können und welche Rolle das Konzept der Heldenreise und der Open World in „The Legend of Zelda – Breath of the Wild“ spielen. Im Rahmen der Themenreihe „Open World Games“ wirft sie einen erneuten Blick darauf.

Nachdem ich mich jahrelang mit narrativen Formen in Filmen und Serien beschäftigt habe, kam für mich die Frage auf, ob digitale Spiele nach dem gleichen – oder einem ähnlichen Prinzip – funktionieren. Findet sich das Konzept der Heldenreise auch in digitalen Spielen wieder? Und wenn ja, in welcher Form? Welche Auswirkungen hat die Narration auf das Gameplay und die Storyworld? Ist die Heldenreise als feste dramaturgische Erzählform ein Ausschlusskriterium für eine Spielwelt, die als Open World ausgelegt ist? Aber eins nach dem anderem.

Baukastensystem Heldenreise

„Alle Geschichten bestehen im Grunde aus einer Handvoll stets wiederkehrender Bauelemente, die uns auch in Mythen, Märchen, Träumen und Filmen immer wieder begegnen. Der Oberbegriff für all diese Bauelemente lautet: die Reise des Helden.“ (Vogler: 35)

In Anlehnung an das Konzept der Heldenreise von Joseph Campbell, entwarf Christopher Vogler ein etwas abgewandeltes Modell für das Drehbuchschreiben. In seinem Buch „Die Odyssee des Drehbuchschreibers“ stellt er die 12 Stadien der Heldenreise dar und beschreibt die Archetypen und deren Funktionen für den Verlauf der Geschichte. Die Reise des Helden läuft wie folgt ab:

1. Akt: (1) Gewohnte Welt, (2) Ruf des Abenteuers, (3) Weigerung, (4) Der Mentor, (5) Überschreiten der ersten Schwelle.
2. Akt: (6) Bewährungsproben, Verbündete, Feinde, (7) Vordringen zur tiefsten Höhle, (8) Entscheidende Prüfung, (9) Belohnung.
3. Akt: (10) Rückweg, (11) Auferstehung, (12) Rückkehr mit dem Elixier.

Vogler gibt zu bedenken, dass die Heldenreise zwar eine Struktur vorgibt, einzelne Stadien jedoch wegfallen oder sich wiederholen können. Zu den Archetypen zählt er den Helden, Mentor, Schwellenhüter, Herold, Gestaltwandler, Schatten und Trickster. Er versteht diese Archetypen „nicht als Charaktere mit einer unabänderlichen Rollenzuweisung, sondern als Funktionsträger“. (Vogler: 81) Das heißt: die Archetypen können von unterschiedlichen Charakteren flexibel angenommen werden. Auch der Held selbst kann (vorübergehend) in diese Rollen schlüpfen. Das Ziel der Archetypen ist es, die Geschichte in irgendeiner Weise voranzubringen.

Links Heldenreise

Wie sieht die Reise des Helden nun in „Breath of the Wild“ aus? Lässt sich das Konzept von Vogler auf dieses Spiel übertragen? (Spoiler: Ja, es funktioniert.) Erste Hinweise erhalten die Spielerinnen und Spieler bereits durch die für die Zelda-Reihe typischen wiederkehrenden Elemente (bspw. das Masterschwert), der aus vorigen Spielen bereits bekannte Storyverlauf (Held rettet die Welt und die Prinzessin) und die Sprache. Denn Link wird explizit als „Held“ bezeichnet. Er muss sich sämtlichen „Prüfungen“ stellen, insbesondere in den Schreinen, in denen er die „Zeichen der Bewährung“ erhält. Abgesehen von derartigen Hinweisen und den im Spiel vorkommenden Archetypen (könnt ihr sie zuordnen?) folgt der Held Link einem vorgegebenen, narrativen Pfad:

1. Akt: (1) Gewohnte Welt: entfällt, da Link zu Beginn der Geschichte nach einem 100jährigen Schlaf in einem Schrein erwacht und keinerlei Erinnerung an sein voriges Leben hat. (2) Ruf des Abenteuers: erfolgt durch Zeldas Stimme, die Link in die für ihn neue Welt leitet. (3) Weigerung: entfällt vonseiten des Spiels (es sei denn, die Spielenden weigern sich, das Spiel fortzusetzen). (4) Der Mentor: Link trifft einen alten Mann am Lagerfeuer, der ihm hilft, sich in dieser Welt zurechtzufinden, und ihm das Parasegel überreicht. (5) Überschreiten der ersten Schwelle: gelingt Link mithilfe des Parasegels.

2. Akt: (6) Bewährungsproben, Verbündete, Feinde: Link fliegt mit dem Parasegel vom Plateau und landet im Königreich Hyrule, wo er fortan unzählige Bewährungsproben bestehen muss, Verbündete findet und Feinden begegnet. (7) Vordringen zur tiefsten Höhle: Link gelangt mithilfe von Verbündeten in das Innere eines Titanen. (8) Entscheidende Prüfung: besteht darin, die Peiniger innerhalb dieser Titanen zu besiegen. (9) Belohnung: Hat Link gesiegt, erscheint einer der Recken und übergibt ihm seine Kraft.

3. Akt: Die Stadien (10) Rückweg, (11) Auferstehung, (12) Rückkehr mit dem Elixier, lassen sich folgendermaßen zusammenfassen: Link macht sich auf den Weg zum Schloss, um sich seiner letzten Prüfung zu stellen und gegen den Endgegner (die Verheerung Ganon) zu kämpfen. Prinzessin Zelda taucht an seiner Seite auf, übergibt ihm einen Lichtbogen und Lichtpfeile, mit denen er den Feind besiegen kann. Am Ende ist die Prinzessin befreit und die Welt Hyrule gerettet.

Open World: die unendliche Heldenreise?

„Breath of the Wild“ folgt demnach einem festen narrativen Schema. Wie aber lässt sich dieses mit den ludischen Strukturen – und insbesondere der Open World – verbinden? Wichtige Merkmale einer Open World sind beispielsweise Bewegungs- und Entscheidungsfreiheit (mehr zu den Merkmalen könnt ihr hier lesen: „Was sind Open World Games?“). Das ist in „Breath of the Wild“ mal mehr und mal weniger gegeben. Meine Analyse hinsichtlich solcher Freiheiten und in Anlehnung an das narrative Schema führte zu dem Schluss, dass die Open World im Grunde nur im 2. Akt „offen“ ist, während der 1. und 3. Akt als narrative Rahmung dienen, also „geschlossen“ sind.

Das ist nicht verwunderlich, denn sobald Narration vorliegt, treten ludonarrative Dissonanzen auf, die gerade in Open-World-Spielen sichtbar werden: „Stories sind endlich; etwas kann erst zur Story werden, wenn es vorbei ist. Während ein Vorgang noch nicht abgeschlossen ist, kann er nicht zur story werden. Während das Spiel nach Unendlichkeit verlangt, drängt die Story auf ihr Ende zu.“ (Cermak-Sassenrath: 211)

Für „Breath of the Wild“ lassen sich die ludischen und narrativen Strukturen – unter Berücksichtigung geschlossener und offener Handlungsräume – daher wie folgt zusammenfassen: 1. Akt: Tutorial (geschlossen/festgelegt), 2. Akt: Open World (offen), 3. Akt: Endkampf (geschlossen/festgelegt). Für die Spielerinnen und Spieler bedeutet das: Wirkliche Bewegungs- und Handlungsfreiheit haben sie nur im 2. Akt. Dort durchlaufen sie wiederholt die unterschiedlichen Stadien der Heldenreise, können sich immer wieder neuen Prüfungen stellen, unendlich oft Feinden gegenüberstellen, die sich regelmäßig respawnen (erneut erscheinen), die Welt erkunden und sich in repetitiven Handlungen wie kochen, Pflanzen sammeln und Ähnliches verlieren. (Manche finden so etwas super, andere nervt es. Auf VSG findet ihr einen lesenswerten Artikel dazu: „Was mich an Videospielen nervt“.)

Weitere Konzepte?

Für mich ergibt sich hieraus die Frage, inwieweit sich dieses ludonarrative Konzept auch auf andere Open-World-Spiele übertragen lässt und ob das Schema „Tutorial – Open World – Endkampf“ in allen narrativen Open-World-Spielen vorliegt oder weitere Konzepte vorhanden sind. Was denkt ihr? Kennt ihr Spiele mit einer Open World, die genauso oder anders aufgebaut ist? Lasst uns gerne darüber in den Kommentaren diskutieren!

[tds_council]Ihr möchtet mehr über die Heldenreise und die Open World in „Breath of the Wild“ erfahren? Dann haltet die Augen offen: Die komplette Bachelorarbeit mit dem Titel „Heldenreise in offener Welt – Narrative und ludische Strukturen in ‚The Legend of Zelda – Breath of the Wild‘“ wird in absehbarer Zeit auf „Language at Play“ veröffentlicht. In dieser findet ihr neben Überlegungen zum Genre Action-Adventure auch Verknüpfungen zur Epoche Romantik, deren Merkmale und Motive auch in „Breath of the Wild“ vorzufinden sind.[/tds_council]

Verwendete Literatur (Auswahl):

  • Campbell, Joseph: Der Heros in tausend Gestalten. Frankfurt/M. 2011.
  • Cermak-Sassenrath, Daniel: Interaktivität als Spiel. Bielefeld. 2010.
  • Lindner, Johanna: Die unendliche Heldenreise – Remediationen und Unendlichkeitsversuche des Computerspiels. In: Maren Conrad, Theresa Schmidtke u. Martin Stobbe (Hg.): Digitale Kontexte. Literatur und Computerspiel in der Gesellschaft der Gegenwart. Sonderausgabe #2 von Textpraxis. Digitales Journal für Philologie. 2017. URL: www.uni-muenster.de/Textpraxis/johanna-lindner-heldenreise, DOI: http://dx.doi.org/10.17879/61269468472. Münster. 2017.
  • Pacher, Jörg: Game. Play. Story? Computerspiele zwischen Simulationsraum und Transmedialität. Boizenburg. 2007.
  • Schuppisser, Raffael: Von der Simulation zum Text: Narrative Strukturen in Computerspielen. Zürich. 2014.
  • Thon, Jan-Noël: Game Studies und Narratologie. In: Sachs-Hombach, Klaus; Thon, Jan-Noël (Hrsg.): Game Studies. Aktuelle Ansätze der Computerspielforschung. Köln. 2015.
  • Vogler, Christopher: Die Odyssee des Drehbuchschreibers. Frankfurt am Main. 6. Auflage, 2010.
  • Walter, Klaus: Grenzen spielerischen Erzählens. Spiel- und Erzählstrukturen in graphischen Adventure Games. Düsseldorf. 2001.

Zum Weiterlesen:

  • Harsch, Jonathan: Die Transformation der Heldenreise in Videospielen. In: GAIN, Ausgabe 12. 2020.
  • Konkol, Sylvio: Mensch, Natur, Technik: Umweltdarstellungen in Videospielen (spielkritik.com). 2018.
  • Kutscher, Christina: Tell Me More: Storytelling in Video Games from a Literary Studies’ Perspective. Glückstadt. 2019.
  • Matuszkiewicz, Kai: Zwischen Interaktion und Narration. Die Heldenreise in digitalen Spielen als Handlungs- und Erzählstruktur. Glückstadt. 2019.
  • Müller, Ferdinand: Was mich an Videospielen nervt (videospielgeschichten.de). 2019.

[tds_note]Ein Beitrag zur Themenreihe „Open World Games“. Vom 17. bis zum 25. Februar 2020 stellen wir euch in der Spielstraße anhand von augewählten Open-World-Spielen unterschiedliche Open-World-Konzepte vor. Hier werden alle Beiträge gesammelt. Wir wünschen allen viel Freude beim Lesen und sind gespannt auf eure Kommentare!

 

Grafik (Open World Map): Satzhüterin Pia[/tds_note]

 

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Das Bücherstadt Magazin wird herausgegeben vom gemeinnützigen Verein Bücherstadt. Unter dem Motto "Literatur für alle!" setzt sich die Redaktion mit der Vielfalt der Literatur im Sinne des erweiterten Literaturbegriffs in verschiedenen medialen Aufbereitungen auseinander.

1 Kommentar

  1. Avatar

    Es ist etwas schwierig jetzt schon etwas zum Thema zu schreiben, wo dies zum einen nur ein kleiner Auszug aus einer ganzen Bachelor Arbeit ist und zum anderen weil ich mit Breath of the Wild überhaupt nicht warm werde und ich Open World überhaupt nicht mag.
    Natürlich lässt sich auch an ein BotW die Drei Akt Struktur der Heldenreise anbinden, aber sie ignoriert dann auch den wichtigsten Aspekt der Open World. Die offene Welt eben. Sie bietet mir Handlungsfreiheit und auch Entscheidungsfreiheit. Ich kann die Geschichte in gewisser Weise beeinflussen. Es ist in gewisser Weise wie mit Fillerepisoden in Anime. Manche sind gut, manche schlecht. Oh die Prinzessin muss gerettet werden sonst geht die Welt unter, aber lass mich noch schnell der einen Person. Helfen deren Kühe entlaufen sind, dabei etliche Gegenstände aufsammeln und natürlich noch viele weitere Nebenaufgaben annehmen. Vielen gefällt diese Art von Spiel, ich kann nichts damit anfangen, denn mir fehlt die Struktur. Der rote Faden. Ich nehme doch eine bedrohliche Situation nicht als solche wahr, wenn sie nach 100 Stunden Spielzeit noch immer genauso bedrohlich ist wie nach der ersten Stunde. Dieses Problem hab ich nicht nur mit BotW auch mit anderen Titeln wie dem ersten Red Dead Redemption. Warum reite ich nicht einfach zu meiner Familie und gucke ob die wirklich bedroht sind. Wer soll mich aufhalten. Der einzige Grund ist die Story, aber die steht im Kontrast zu den Freiheiten der Spielwelt.
    BotW hatte für mich auch einfach das Dilemma, das ich mit der Freiheit überfordert war. Das ist kein Fehler des Spiels, denn so ist es nunmal ausgelegt. Mir erschwert es aber umso mehr den Zugang in die Welt von Hyrule und seinen Bewohnern

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