#Meinungstheater: Mord im Orientexpress

von | 31.08.2021 | Filme, Filmtheater, Meinungstheater

Nach der Sommerpause meldet sich das bücherstädtische #Meinungstheater mit „Mord im Orientexpress“ zurück. Satzhüterin Pia, Worteweberin Annika, Bücherstädterin Michelle-Denise, Wortspieler Nico, Fabelforscher Christian und Zeilenschwimmerin Ronja haben sich den Film angesehen.

Satzhüterin Pia: Der belgische Detektiv Hercule Poirot gerät bei einer Fahrt mit dem legendären Orient Express in eine ungewöhnliche Situation: Kurz nachdem die Lok von einer Schneelawine zum Stoppen gebracht wurde, wird die Leiche eines ermordeten Passagiers gefunden. Eine Verbindung zur Außenwelt gibt es nicht und Poirot muss sich ganz auf seinen Spürsinn und die Befragung der Zuggäste verlassen. Die Herausforderung wird immer größer, je mehr Details Poirot aufdeckt, denn der ermordete Ratchett reiste unter falschem Namen. In Wahrheit war er ein flüchtiger Mörder und alle Mitreisenden standen mit den Opfern seines letzten Verbrechens in Verbindung. Sie alle haben also ein Motiv …

Nachdem wir den Film bereits vor einigen Jahren angesehen hatten, haben Wortspieler Nico und ich ihn uns für das Meinungstheater noch einmal zu Gemüte geführt. Bevor ich dazu übergehe, wie mir der Film gefallen hat, sollte ich vorwegnehmen, dass wir beide weder Agatha Christies Bücher um Hercule Poirot kennen, noch jemals eine andere Verfilmung gesehen haben. Ob die 2017er Verfilmung des berühmten Kriminalstoffes an die Buchvorlage herankommt oder wie sie im Vergleich mit anderen Verfilmungen ist, kann ich nicht einschätzen. Diese Verfilmung von und mit Kenneth Branagh hat mich jedenfalls sehr gut unterhalten – auch beim zweiten Anschauen. Die Besetzung ist hochkarätig, die Optik ansprechend und die ganze Inszenierung stimmungsvoll – und bei aller Ernsthaftigkeit kommt auch der Witz nicht zu kurz. Der Film bietet eine angenehme Abendunterhaltung, ist vielleicht nicht bahnbrechend, aber allemal eine gute Unterhaltung. Ich bin somit schon gespannt auf den für das kommende Jahr angekündigten Nachfolger „Tod auf dem Nil“ – ebenfalls mit Kenneth Branagh in der Rolle des Detektivs Poirot.

Worteweberin Annika: „Mord im Orientexpress“ haben Fabelforscher Christian und ich bei Erscheinen im Kino und jetzt zur Auffrischung auf Netflix gesehen – unter sehr unterschiedlichen Voraussetzungen. Während er Poirot-Fan ist, bin ich ganz unvoreingenommen an den Film herangegangen. Neben der spannenden Geschichte mit der überraschenden Auflösung und der starken Besetzung, haben mich vor allem die Bilder überzeugt. Ungewöhnliche Kameraperspektiven wie der Blick von oben in die Zugabteile sind mir besonders in Erinnerung geblieben. So hat mich „Mord im Orientexpress“ gut unterhalten – gerade allerdings lese ich mit „Das fehlende Glied in der Kette“ meinen ersten Poirot-Krimi und bin gespannt darauf, wie sich meine Einschätzung danach verändert.

Bücherstädterin Michelle-Denise: In meiner Kindheit habe ich die Krimis von Agatha Christie verschlungen. Mein Fokus lag damals allerdings auf den Fällen mit Miss Marple als Amateurermittlerin. Dennoch war mir der belgische Privatdetektiv Hercule Poirot sowie sein wohl bekanntester Fall „Mord im Orientexpress“ geläufig. Als 2017 diese Neuverfilmung in die Kinos kam, saß ich voller Vorfreude (mit reichlich Popcorn) im Kinosessel und habe jede einzelne Minute genossen.

Spannende Dialoge mit einer Prise Humor haben mich mit den Protagonisten mitfiebern lassen. Zudem glänzt der Film mit einer hochkaratigen Starbesetzung, unter anderen mit Johnny Depp als Kunsthändler Edward Ratchett, der dem Ermittler Hercule Poirot zwischenzeitlich die Show stiehlt. Besonders hervorzuheben sind die beeindruckenden Landschaftsaufnahmen und die schöne Kulisse innerhalb des Orientexpresses. Das wird nicht das letzte Mal sein, dass ich den Film geschaut habe, denn er steht der Romanvorlage in nichts nach. Wer neugierig auf eine Fortsetzung ist, kann sich freuen, denn Anfang 2022 kommt endlich der langersehnte nächste Fall „Tod auf dem Nil“ mit Hercule Poirot in die Kinos.

Wortspieler Nico: Nachdem „Mord im Orientexpress“ anfangs nur bei Amazon Prime verfügbar war und wir ihn dort angesehen hatten, haben Satzhüterin Pia und ich ihn zur Auffrischung nochmal bei Netflix angeguckt. Auch wenn ich den Film schon kannte, wurde ich aufs Neue wieder gut unterhalten – und das macht für mich einen guten Film aus: wenn ich ihn immer wieder gucken kann und dann nicht gelangweilt bin. Auch diesmal wurde ich wieder von den teils ungewöhnlichen Kameraperspektiven überrascht. So wurde eine Szene im Gang vor den Schlafabteilen komplett von oben gefilmt, um alle drei Darsteller der Szene einzufangen. Die sogenannte Vogelperspektive, wie wir sie aus alten Videospielen kennen, ist mir so bisher selten untergekommen. Meist „fliegt“ die Kamera über einen Straßenzug oder es gibt einen fließenden Übergang in eine andere Szene. Von mir gibt es insgesamt eine klare Empfehlung für den Film, der unter anderem mit seiner hochkarätigen Besetzung glänzen konnte.

Fabelforscher Christian: In vielerlei Hinsicht kann ich mich meinen Vorredner*innen anschließen: Ja, der Film ist hochkarätig besetzt, ja, technisch ist der Film astrein umgesetzt und die teils ungewöhnlichen Kameraperspektiven sind eine Augenweide und ja, er ist durchaus spannend und unterhaltsam. ABER: Wer den etwas beleibten belgischen Detektiv mit dem Schnurrbart, dem Eierkopf und den grünen Katzenaugen aus den Büchern kennt, muss bei diesem Film ein dickes Fell haben. Poirot draußen, ohne Schal und Mantel, im Winter?! Poirot, der wie ein Actionheld einen Verdächtigen über ein Holzgerüst verfolgt?! Mit der Figur aus den Büchern hat der Film-Poirot kaum etwas gemein. Wer die Bücher vielleicht sowieso nicht gelesen hat und Lust auf Spannung, Action und tolle Bilder hat, der kommt trotzdem voll auf seine Kosten.

Zeilenschwimmerin Ronja: Als langjähriger Agatha-Christie-Fan musste ich die Neuverfilmung sehen. Allerdings bin ich schon mit einigen Zweifeln reingegangen. Der Trailer sah schon deutlich reißerischer aus, als es sich für einen AC-Krimi eigentlich anbietet und die Menge der mitspielenden großen Stars war für mich eher ein Minus- als ein Pluspunkt, weil ich befürchtete, dass die Handlung darunter leidet.

„Mord im Orientexpress“ ist einer DER Klassiker im Krimibereich. Eine frühere Verfilmung von Sidney Lumet (1974) war ebenfalls mit bekannten Schauspielern besetzt, hat den Roman allerdings prächtig als Film umgesetzt. Jede einzelne der zahlreichen Figuren erhielt gleichberechtigte Zeit und die Geschichte entwickelte sich ebenso ruhig und spannend wie im Roman.

Anders die Neuverfilmung. Ich hätte mich gern positiv überraschen lassen. Leider passierte hier jedoch das, was man Hollywood oft vorwirft: Aus einem ruhigen und gelungenen Original machen sie einen actionreichen Streifen. Wer Poirot kennt, weiß, dass Action nun wirklich nicht sein Ding ist. Poirot auf einer Verfolgungsjagd mit Rennen und Springen? Nie im Leben.

Was die Starbesetzung angeht, hat Poirot-Darsteller und Regisseur Kenneth Branagh bis zu einem gewissen Grad auch meine Befürchtungen erfüllt. Die Figuren wurden nicht gleichberechtigt beleuchtet, obwohl alle gleich wichtig sind. Manche Informationen wurden lieblos in einem Satz nachgereicht. Einiges hätte mir auch gefehlt, würde ich nicht die Handlung schon kennen. Besonders schrecklich fand ich die Auflösung. Poirot ist eine Drama-Queen, aber das war doch zu viel des Guten.

Positiv hervorheben möchte ich die Optik des Films. Die Kostüme sind prächtig, die Kamerafahrten gelungen und die schauspielerische Leistung durchweg gut. Bloß die schwarz-weiß-Rückblenden waren weder farblich noch stilistisch passend (und viel zu selten eingesetzt, um Stilmittel zu sein). Mir ist bewusst, dass Roman und Film unterschiedliche Medien sind, die unterschiedliche Ansprüche haben und man auch „mit der Zeit gehen“ muss. Aber bitte, DAS war keine gute Romanverfilmung. Wer einen Actionfilm drehen möchte, sollte keinen Agatha Christie als Vorlage nehmen.

Mord im Orientexpress. Regie: Kenneth Branagh. Drehbuch: Michael Green. Mit Kenneth Branagh, Penélope Cruz, Willem Dafoe u.a.. 20th Century Fox. USA. 2017. FSK 12.

[tds_note]Geschichtenzeichnerin Celina hat bereits 2017, als „Mord im Orientexpress“ in die Kinos kam, über den Film geschrieben. Hier könnt ihr ihre Kritik lesen.[/tds_note]

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