Eduard Brünhofer sitzt im Zug nach München und hatte nicht vor, sich vier Stunden lang von einer Therapeutin frühen mittleren Alters in ein Gespräch über die Liebe verwickeln zu lassen. Bücherstädterin Andrea hat sich auf das Kammerspiel zwischen Wien und München in Daniel Glattauers neuem Roman „In einem Zug“ eingelassen und musste häufig schmunzeln, aber auch genauso oft die Augen verdrehen.
Dialoge mit zu viel Wohlfühlfaktor?
Daniel Glattauer gelingen pointierte Beobachtungen und humorvolle Alltagsgespräche – ganz wie man es aus seinen anderen Werken gewohnt ist. Zwei Fremde sitzen sich zufällig gegenüber – und so abgeneigt der Schriftsteller einer ausführlichen Konversation über sein Liebesleben auch ist, gelingt es seinem Gegenüber schnell ihn in einen anregenden Wortwechsel zu verwickeln, der zwischendrin wie ein verbaler Schlagabtausch anmutet. Der Roman ist zweifellos ein Wohlfühlbuch: Mit viel Witz, der trotz einiger etwas zu bemüht pointierten Bemerkungen doch zum Weiterlesen anregt, lässt Glattauer seinen Protagonisten über die Liebe, seine Beziehung zu Alkohol und seine Schreibblockade sinnieren. Doch genau darin liegt auch die Schwäche des Textes: Immer, wenn das Gespräch an eine spannende, vielleicht unbequeme Stelle kommt – etwa bei Fragen nach Bindung, Treue oder alternativen Lebensmodellen – wird die Tiefe zugunsten eines gefälligen Fortgangs abgewürgt.
Eine bindungsängstliche Therapeutin?
Eduard nimmt hier die Position des zufrieden monogam lebenden Ehemanns, der über seine Frau nur wohlwollende Worte verliert, ein. Catrin – Therapeutin und resolut-direkte Gesprächspartnerin Eduards, findet sich in der Rolle der Opposition wieder. Sie ist unverheiratet, kinderlos und ihre Reise nach München ist eine ins Ungewisse. Die Grundlage ist gegeben, doch der Diskurs über zentrale Beziehungsfragen bleibt immer wieder an trotzigen Bemerkungen ihrerseits und genauso bockigem Widerspruch seinerseits hängen und verhindert dadurch, dass das Gespräch über die cleveren Alltagsdialoge hinaus wirklich Tiefe bekommt. Gerade vor dem Hintergrund, dass eine der Figuren als Therapeutin auftritt, wirkt die Leichtfertigkeit, mit der über Affären und emotionale Verantwortung gesprochen wird, stellenweise irritierend.
Wer jedoch keinen tiefgreifenden philosophischen Diskurs über die Liebe im 21. Jahrhundert erwartet, sondern sich auf einen charmanten, schnell verschlungenen Dialogroman mit zwei gut gezeichneten Charakteren einlässt, findet mit „In einem Zug“ eine unterhaltsame Lektüre, die durchaus zu der ein oder anderen spannenden Diskussion anregen mag.
In einem Zug. Daniel Glattauer. Dumont. 2025.
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