Wozu lieben, wenn es nur wehtut?

von | 03.06.2025 | Belletristik, Buchpranger

In ihrem neuesten Roman „Intermezzo“ wirft die Bestsellerautorin Sally Rooney einen nuancierten Blick auf Trauer und fragt, welches Leid uns die Liebe zueinander zufügen kann. Bücherstädterin Andrea hat sich auf die Reise von Rooneys neuen Protagonisten begeben, die in ihr viel Mitgefühl, Verständnis aber auch Unmut ausgelöst haben.

Sally Rooney widmet sich der Geschichte zweier Brüder, Peter und Ivan, denen ihre Unterschiede zum Verhängnis werden. Peter ist nach außen ambitioniert und hat sein Leben unter Kontrolle – das denkt zumindest Ivan, sein jüngerer Bruder, der sich für seine vermeintlichen Defizite im sozialen Umgang und seine schlecht bezahlten Nebenjobs schämt. Seine Karriere als Profischachspieler scheint ebenfalls im Sand zu versinken, als er überraschenderweise einer deutlich älteren Frau näherkommt.

Sprachliche Bipolarität

Rooney schafft es den Keil, der sich nach dem Tod des Vaters immer tiefer zwischen die beiden Brüder schiebt, auch sprachlich perfekt, durch einen an die Protagonisten angepassten Schreibstil sichtbar zu machen. Die Erzählperspektiven werden dadurch ein charakteraufbauendes Werkzeug, das somit auch einen wesentlichen Teil der Handlung und des Leseerlebnisses ausmacht. Ivans Perspektive ist nüchtern, klar geordnet, zeigt aber auch seine Abschottung gegenüber der Außenwelt. Peters Wahrnehmung hingegen ist die eines überreizten Geistes im ständigen inneren Ungleichgewicht. Diese Erzählweise erzeugt eine tiefgreifende Nähe zu den beiden Brüdern – ganz ohne emotionalisierende Sprache.

Moral im Zwielicht

Die Beziehungen zu den Frauen in ihrem Leben bewegen sich innerhalb eines Spannungsfeldes zwischen Anpassung an die gesellschaftlichen Normen und Authentizität. Der Druck, den kollektive Erwartungen an Liebe und Beziehung ausüben, ist immer wieder ein zentrales Thema im Roman. Feine Nuancen, die oft widersprüchlich scheinen, unpraktisch und uneindeutig sind, bekommen in „Intermezzo“ Raum zum Atmen.

Ivan und Peter sind zerissen zwischen Anstand und Aufbegehren. Sally Rooney zeichnet mit ihnen graue Charaktere in nüchterner Sprache, die dazu einladen, mit ihnen zu leiden, ohne ihnen Absolution für ihr Handeln zu erteilen. Sie schafft mit ihren Beschreibungen also einen Rahmen, der weder verurteilt, noch entlastet. Genau das macht die Figuren so glaubwürdig: Sie sind keine Vorbilder – sie sind Menschen, die versuchen dem Leben trotz allem einen Sinn abzugewinnen. Das macht den Roman reich an Innenleben, kann einigen Leser*innen aber auch einiges an Geduld abverlangen. Teilweise sind die Ausführungen etwas zu ausufernd und hätten nicht an Substanz verloren wären, sie etwas gekürzt worden.

Trotzdem ist das Buch zweifellos etwas für Fans von Sally Rooney und alle, die sich gerne auf das Chaos authentischer Gefühle und subtiler Beziehungsdynamiken einlassen.

Sally Rooney. Intermezzo. Übersetzung: Zoe Beck. Claassen. 2024.

Andrea Wessely

Andrea Wessely

Da Andrea neben Literaturwissenschaften auch Psychologie studiert hat, faszinieren sie besonders Bücher, die tief in die menschliche Psyche eintauchen. Mit demselben Scharfsinn widmet sie sich auch ihren Rezensionen in der Bücherstadt. Außerdem gestaltet sie mit Vorliebe kreative Beiträge für unsere Social-Media-Kanäle und verbindet dabei Sprache und Bild zu einem stimmigen Gesamtkonzept. Wenn sie gerade nicht für das Bücherstadt Magazin arbeitet, schreibt sie an ihren eigenen Geschichten oder geht mit Freundinnen ins Kino.

0 Kommentare

Einen Kommentar abschicken

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Newsletter

Erhaltet einmal im Monat News aus Bücherstadt. Mehr Informationen zum Newsletter gibt es hier.

Wir sind umgezogen!

Wir sind vor einer Weile umgezogen und müssen noch einige Kisten auspacken. Noch steht nicht alles an der richtigen Stelle. Solltet ihr etwas vermissen oder Fehler entdecken, freuen wir uns über eine Nachricht an mail@buecherstadtmagazin.de – vielen Dank!

DSGVO Cookie Consent mit Real Cookie Banner