Den Fokus vom Täter abrücken: In „Bright Young Women“ schreibt Jessica Knoll über die Perspektive derjenigen jungen Frauen, die durch den Fokus auf die Psyche eines Täters bei Berichterstattungen und Aufarbeitungen von (Serien-)Morden viel zu oft ungesehen bleiben. – Von Satzhüterin Pia
Die Geschichte der „Bright Young Women“ ist inspiriert von einer wahren Begebenheit: Orte, Daten und viele Geschehnisse stimmen mit dem Leben und Wirken des Serienmörders Ted Bundy überein, der im Buch namentlich aber nie erwähnt wird. Die Figuren und vor allem zahlreiche Details sind fiktional.
Spannend und authentisch
Leser*innen tauchen ein, in die Welt der amerikanischen 70er Jahre – oder kommen hier langsam rein. Die Atmosphäre fängt die Autorin authentisch ein, soweit man das als nicht-Amerikanerin jüngeren Baujahrs beurteilen kann. Der Schreibstil ist eher nüchtern, nicht reißerisch, und sehr gut lesbar. Anspruchsvoller ist hingegen die Tatsache, dass die Autorin zwischen Zeiten und Orten springt, was durch die Überschneidung der Figuren einiges an Aufmerksamkeit beim Lesen fordert.
Eingangs lernen wir Pamela kennen, deren Freundin Denise Opfer des „Angeklagten“ wird, wie er im Buch überwiegend schlicht genannt wird, wenn auch nicht alle Taten einwandfrei ihm zugeordnet werden konnten. Pamela trifft direkt nach der Ermordung von Denise im Jahr 1978 auf Martina „Tina“ Cannon. Gemeinsam stellen sie Nachforschungen an, um den Täter zu finden, den Pamela bei dem Einbruch in ihr Verbindungshaus gesehen hatte. Tina selbst ist bereits einige Jahre auf der „Jagd“ nach eben jenem Mann, der, wie sich im weiteren Verlauf herausstellen sollte, so viele junge Frauen verletzt oder getötet hatte: Tinas Lebensgefährtin Ruth wurde vier Jahre zuvor ebenfalls sein Opfer.
Die Kapitel rund um 1974 sind aus Ruths Perspektive geschrieben. Galant wechselt Knoll teilweise nur zwischen den Zeiten, bleibt jedoch bei den gleichen Orten – einmal erfahren Leser*innen etwas über Ruths (und Tinas) Leben, dann springt die Geschichte nach vorne und die Vergangenheit wird durch Pamela (und Tina) erforscht. Mit etwas Konzentration kann man hier nicht nur gut folgen, die Zeitsprünge bringen auch viel Spannung und Raffinesse in den Text. Der Rückblick in die 70er Jahre wird in eine Rahmenhandlung aus dem Jahr 2021 eingebettet, Ausgangspunkt der Erzählung von Pamela.
„Die Scham muss die Seite wechseln.“
Dieses Zitat ist topaktuell und stammt von Giséle Pelicot, einer Französin, der Unbeschreibliches von ihrem damaligen Mann sowie so vielen weiteren Männern angetan wurde. Ihre Geschichte und dieses Zitat haben mich unweigerlich in Gedanken begleitet, als ich „Bright Young Women“ gelesen habe, denn auch Knoll möchte in ihrem Roman den Fokus korrigieren. Zahllose Filme, Serien, Bücher und andere Adaptionen handeln von zumeist männlichen (Serien-)Mördern, interpretieren Mystisches, Spannendes, Faszinierendes hinein in diese kranken Gehirne, die so unsagbar viel Leid zu verschulden haben. Die Autorin hingegen rückt die Frauen und damit die Opfer in den Mittelpunkt, erzählt ihre Geschichte oder zumindest eine fiktionale Version davon. Auch bei Knolls Protagonistin sind die vermeintliche Schwäche und Scham Thema – schämen sollte sich aber derjenige, der kaltblütig mordete.
„Frauen hatten so ein seltsames Gefühl bei ihm. Ein Gefühl, das wir alle bekommen, wenn etwas nicht stimmt, wir aber nicht wissen, wie wir uns höflich aus der Situation befreien sollen, ohne das Risiko auf Gewalt und Belästigung zu erhöhen.“ (S. 234)
„Bright Young Women“ ist ein Roman, der in meinem Fall einen Moment zum Warmwerden gebraucht hat, dann aber zu einem spannenden Page-Turner mutierte. Stilistisch ist das Buch nicht ganz einfach, weil der inkonsistente Aufbau eine gewisse Aufmerksamkeit beim Lesen braucht –hier hilft es, das Buch mehr oder weniger am Stück zu lesen, statt (längere) Pausen zu machen.
Das Thema ist schwere Kost und wird weder beschönigt noch respektlos behandelt, was zusammen erstaunlich gut funktioniert und das Buch wirklich spannend macht. Teile des Buches haben gewisse Längen und hätten etwas kürzer erzählt werden können, während der feministische und kritische Part gegen Ende des Romans auch gerne etwas mehr Raum hätte bekommen können.
Für mich wird „Bright Young Women“ sicherlich ein Lesehighlight des Jahres sein, trotz ein paar Schwächen – alleine deswegen, weil die Geschichte so intensiv ist und lange nachhallt.
Jessica Knoll. Bright Young Women. Übersetzung: Jasmin Humburg. Eichborn. 2024.
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