Zeit für Gefühle

von | 18.10.2023 | Bilderbücher, Buchpranger

Wut, Freude, Angst, Mut: Wir fühlen alle jeden Tag ganz viele verschiedene Gefühle. Darum sind Gefühle auch eines der beliebtesten Themen in Bilderbüchern. Worteweberin Annika hat sich einige aktuelle Bilderbücher angeschaut.

„Das alles sind Gefühle“

Inzwischen sind in der Reihe „Das alles …“ mehrere Bilderbücher von Michael Engler erschienen, alle niedlich in Aquarell illustriert von Julianna Swaney. In dieser Geschichte geht es um den Jungen Lars, dem ein Marmeladenglas herunterfällt – eine klassische Situation, in der ein Kind etwas alleine schaffen möchte, daran scheitert, und Eltern schimpfen. Dabei wollte Lars doch alles richtig machen! Er wird wütend. So wütend, dass er sich kurz darauf im Spiegel gar nicht mehr wiedererkennt. Im Garten trifft Lars auf einen Maulwurf, der ihm alles über Gefühle erklärt.

Warum nun ein Maulwurf Experte für Gefühle ist, müssen wir an dieser Stelle wohl unbeantwortet lassen. Jedoch gelingt es ihm gut, Lars zu erklären, welche Gefühle es gibt, dass darunter angenehme und unangenehme Emotionen sind, und dass Lars immer er selbst bleibt, egal was er fühlt. Als angenehm empfindet Lars es schließlich, sich wieder mit seiner Mutter zu versöhnen. Da der Maulwurf das Wissen anhand verschiedener Alltagssituationen erläutert, können Kinder gut folgen und sich wiedererkennen.

„Das alles sind Gefühle“ wird achtsam und mit Einfühlungsvermögen erzählt. Die Geschichte um Lars dient als Rahmen, um Wissen zu vermitteln. Das Buch eignet sich daher besonders dann, wenn man sich mit Kindern tiefergehend mit dem Thema beschäftigen möchte, und nicht so sehr als lustiges Nachmittagsbilderbuch, das nebenbei eine Botschaft mitbringt.

Das alles sind Gefühle. Michael Engler. Illustration: Julianna Swaney. ArsEdition. 2022.

„Astronautenkinder“

In „Astronautenkinder“ machen wir uns auf ins Weltall – auf fremden Planeten und in kleinen Raketen begegnen wir Kindern mit großen, besonderen Emotionen. Natascha Berger und Anna Taube erzählen in diesem großformatigen Bilderbuch von Neurodiversität und Gefühlsstärke. Das Weltall erinnert an die große, wilde Welt der Gefühle – und nicht alle Astronaut*innen, nicht alle Kinder, erleben und fühlen diese Welt gleich. Manchen ist sie zu laut, manche werden besonders schnell wütend, manche sind schüchtern. Fast jede*r kann sich wahrscheinlich in dem ein oder anderen Kind wiederfinden, das hier beschrieben wird. Und gemeinsam finden sie einen Weg, um mit ihren Emotionen umzugehen.

Obwohl Natascha Berger einfache Sätze verwendet, erfordert es von den Leser*innen Übertragungsarbeit, nämlich von der Weltraum- auf die Alltags- und Gefühlswelt. Die detaillierten, angenehmen Illustrationen von Anna Taube erleichtern es, die Beziehung herzustellen und den dargestellten Kindern die Emotionen anzusehen. Trotzdem ist „Astronautenkinder“ frühestens ab 4 Jahren und dafür auch noch im Vor- und Grundschulalter geeignet. Da Neurodiversität noch ein eher unbekanntes Konzept ist, hätte ich mir eine Doppelseite mit Erklärungen und Hilfestellungen für Vorleser*innen gewünscht, wie man sie immer öfter in Bilderbüchern findet. Da diese leider fehlt, empfiehlt es sich, das Buch vor dem gemeinsamen Lesen alleine anzuschauen. Mit etwas Vorbereitung kann man „Astronautenkinder“ dann aber toll im Kindergarten oder zu Hause einbinden, um über besondere Gefühle zu sprechen.

Astronautenkinder. Natascha Berger. Illustration: Anna Taube. ArsEdition. 2022. Ab 4 Jahren.

„Lass es raus, Knotenklaus“

Als der Oktopus Knotenklaus eines Tages einen Knoten in seinem Lieblingsarm entdeckt, beginnt für ihn eine Reise durch den Ozean – und in sein Inneres. Erst als der Oktopus verschiedene Meeresbewohner*innen getroffen und einen Zugang zu seinen Gefühlen gefunden hat, kann der Knoten „platzen“. Seine Reise ist abenteuerlich, teils wird es sogar ganz schön spannend, und das, obwohl Knotenklaus eigentlich schüchtern ist und seine Komfortzone nicht gerne verlässt. Doch dank der Hilfe von Garnele Gitte findet er Mut.

In „Lass es raus, Knotenklaus“ erzählt Julia Regett für alle Kinder ab 4 Jahren von Wut, Trauer, Mut und Freundschaft. Dabei liegt der Fokus nicht auf einer einzelnen Emotion oder dem Verständnis dafür, wie Gefühle funktionieren, sondern eher auf Achtsamkeit und der Botschaft: Alle Gefühle sind in Ordnung. Das zu wissen und Kindern vorzulesen und vorzuleben ist so wichtig. Die kontrastreichen Illustrationen der sympathischen Meerestiere machen viel Spaß und laden zum Mitfühlen mit Knotenklaus ein. Er und die winzige Garnele Gitte wachsen den Leser*innen schnell ans Herz und sorgen dafür, dass wir dieses Bilderbuch gerne immer wieder aus dem Regal ziehen.

Lass es raus, Knotenklaus. Julia Regett. CalmeMara Verlag. 2022. Ab 4 Jahren.

„Hanni braucht eine Freuschrecke“

Wenn ein Tag schon damit beginnt, dass man auf einen Legostein tritt, was soll man da noch erwarten? Das Kindergartenkind Hanni ist nach diesem Unglück jedenfalls nicht mehr nach dem tollen Ausflug zur Schmetterlingswiese mit Picknick zumute, den sie eigentlich mit ihrer Mutter unternehmen wollte. Zum Glück gelingt es der Mutter, alle Gefühle zu akzeptieren – und Hanni den Ausflug doch noch zu ermöglichen: Die beiden brechen auf, um eine Freuschrecke zu suchen. Denn nur eine Freuschrecke kann die schlechte Laune garantiert vertreiben. Leider ist sie gar nicht so leicht aufzutreiben.

Judith Merchant erzählt in diesem Bilderbuch eine abenteuerliche, einfühlsame Geschichte über Gefühle. Weil jede*r mal schlechte Laune hat, können Leser*innen direkt mit Hanni mitfühlen. Auch wenn die Mutter den Kummer kurz einfach wegwischen möchte, zeigt sich sofort, dass das keine Lösung ist und das Kind ernstgenommen werden möchte. Die Emotionen werden im Bilderbuch mit viel Verständnis geschildert. Hinzu kommt eine gute Portion Witz, die Kinder ab 3 Jahren beim Vorlesen begeistert: Wenn Hanni ins Wasser plumpst oder die Freuschrecke auftaucht, darf gerne (auch) geschmunzelt und gelacht werden. Einzig die Illustrationen in diesem Bilderbuch treffen nicht ganz meinen persönlichen Geschmack: Trixy Royeck zeichnet in starken Farben, überwiegend in den Grundtönen, für heutige Sehgewohnheiten fast zu bunt. Hinzu kommen Gesichter mit großen Augen und Mündern, denen man die Emotionen direkt ablesen kann. Die Heuschrecke ist mit Wackelaugen ausgestattet. Mein Kind aber betrachtet die Bilder gerne und lässt sich die Geschichte immer wieder vorlesen.

Hanni braucht eine Freuschrecke. Judith Merchant. Illustration: Trixy Royeck. EMF. 2023. Ab 3 Jahren.

Um andere Bilderbücher über Gefühle geht es in diesem Beitrag: Oje, diese Wut!

Annika Depping

Annika Depping

Als Chefredakteurin versucht Annika in der Bücherstadt den Überblick zu behalten, was mit der Nase zwischen zwei Buchdeckeln, zwei Kindern um die Füße und dem wuchernden Grün des Kleingartens im Nacken nicht immer einfach ist. Außerhalb der Bücherstadt ist Annika am Literaturhaus Bremen mit verschiedenen Projekten ebenfalls in der Welt der Geschichten unterwegs.

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