Zwei Befreiungsschläge, die polarisieren

von | 29.12.2023 | Buchpranger, Sach- und Fachbücher

2023 standen zwei Autobiografien stark im Fokus der Öffentlichkeit: „Reserve“ von Prinz Harry und „The Woman in Me“ von Britney Spears. Auch Seitentänzerin Michelle-Denise hat die beiden Bücher im Vorfeld gespannt erwartet und interessiert gelesen.

„Reserve“

In den Medien wurde Prinz Harry nahezu ausschließlich als frecher und wilder junger Mann dargestellt, der im Gegensatz zu seinem Bruder William nicht zu bändigen und immer wieder für unglückliche Missgeschicke verantwortlich war. Dennoch oder gerade deswegen galt er lange als einer der Lieblinge der Monarchie. Bis zu seinem abrupten Bruch mit der Königsfamilie im Jahr 2020.

Durch seine Autobiografie „Reserve“ nutzt Prinz Harry bewusst die Möglichkeit, offen über sein Seelenleben zu sprechen, da es ihm vorher untersagt wurde. Der Aufbau in drei Teile (Kindheit, Zeit beim Militär und Gegenwart) ermöglicht einen recht detaillierten Einblick in Harrys unterschiedliche Lebensabschnitte und die Wandlung vom Kind zum Vater.

Harry räumt ungeschönt mit falschen Öffentlichkeitsbildern der royalen Familie auf und prangert seine eigene Familie mehrfach für ihr Verhalten im Umgang mit den Medien an. Seines Erachtens wurde er jahrelang durch ebenjene in die Rolle des liebevollen Chaoten gedrängt, um so seinen Bruder William, als auch seinen Vater und seine Stiefmutter Camilla in ein besseres Licht zu rücken. Besonders das Konkurrenzempfinden gegenüber seinem Bruder ist allgegenwärtig und ließ mich das ein oder andere Mal schmunzeln, denn teilweise werden hier gewöhnliche Geschwisterstreitigkeiten, wie sie in allen Familien stattfinden können, emotional aufgeladen und dramatisiert erzählt. Wie zum Beispiel die Tatsache, dass Harry es unfair findet, dass William das optische Ebenbild seiner geliebten Mutter Diana ist. Man spürt, wie er durchweg seinen Unmut kundtun, aber nicht vordergründig seine Familie verletzen möchte.

Beim Lesen schwankte ich zwischen Faszination der Erzählung und einer gewissen Beklommenheit, weil die eine oder andere Geschichte vielleicht lieber hätte nicht erzählt, sondern privat besprochen werden sollen. Die Autobiografie fesselt bis zur letzten Seite und lässt sicherlich noch Spielraum für eine Fortsetzung, die ich auch wieder gerne lesen würde. Allein schon, um auf eine Versöhnung zwischen Prinz Harry und seiner Familie sowie einen positiven Abschluss mit seiner Vergangenheit zu hoffen.

Reserve. Prinz Harry. Übersetzung: Stephan Kleiner, Katharina Martl, Johannes Sabinski, Anke Wagner-Wolff und Alexander Weber. Penguin. 2023.

„The Woman in Me“

Spätestens seit ihrer Jugend ist Britney Spears einem weltweiten Publikum bekannt als Pop-Ikone, die mit dem Hit „Baby One More Time“ 1999 ihren Durchbruch im Musikbusiness schaffte. Nach Jahren auf der Erfolgswelle sah es zunächst nicht so aus, als wenn sich daran irgendwann etwas ändern könnte. Bis zu den legendären Paparazziaufnahmen, die die Sängerin seelisch gebrochen mit rasiertem Kopf vorführten. Was folgte, war eine Vormundschaft im Jahr 2008, von der auch die Öffentlichkeit erfuhr und die erst nach 13 Jahren beendet werden sollte.

„The Woman in Me“ ist für Spears eine Art Befreiungsschlag. Dieses Buch gibt ihr die Möglichkeit, endlich ihre persönliche Sicht der Dinge preiszugeben, und es fühlt sich beim Lesen tatsächlich so an, als wenn sie den Lesenden ihre Geschichte erzählt. In einfachen Worten, ein wenig wie man es von ihren Instagramposts der letzten Jahre gewohnt ist, nur ohne die Flut an Emojis. Dabei beginnt sie bei ihrer Kindheit in Louisiana und ersten Auftritten und Erfolgen, die sie jedoch nur sehr kurz zusammenfasst. Ebenso verhält es sich mit ihrem musikalischen Durchbruch im Jahr 1999. Ich hätte mir allerdings gewünscht, dass Spears mehr auf die Anfänge ihrer Karriere eingegangen wäre.  

Im weiteren Verlauf erklärt sie, wie ihr das Herz nicht nur einmal gebrochen wurde und wie auch zusehends ihr Image als perfektes Mädchen, das sie nie war und auch nie sein wollte, durch die Medien zu bröckeln begann. All dies hatte eine Vormundschaft durch ihren Vater zur Folge, die beim Lesen ein beklemmendes Gefühl in mir hervorgerufen hat. Obwohl Spears ihre Erleichterung über das Ende bekundet und mit ihrer Vergangenheit ihren Frieden geschlossen hat, so wird sie die verlorenen Jahre nicht wieder zurückbekommen und man kann die damit verbundene Traurigkeit und Verzweiflung durch ihre niedergeschriebenen Worte durchweg fühlen.

„The Woman in Me“ ist eine kurzweilige Autobiografie, die nicht besonders anspruchsvoll geschrieben ist, aber wohl gerade deshalb so authentisch und interessant ist, weil man sich genauso ein Buch von der Sängerin vorstellen würde. Das Buch richtet sich vordergründig an Lesende, die ein wenig mit Spears‘ Musik(-karriere) vertraut sind, aber unterhält sicherlich auch alle, die die dramatische Geschichte von Spears‘ Vormundschaft in den letzten Jahren interessiert verfolgt haben.

The Woman in Me. Meine Geschichte. Britney Spears. Übersetzung: Sylvia Becker, Karlheinz Dürr, Astrid Gravert, Karsten Petersen und Anke Wagner-Wolff. Penguin. 2023.

Michelle-Denise Oerding

Michelle-Denise Oerding

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