Kann man sie uns zumuten – die Geschichte hinter den Erzählungen eines Autors oder einer Autorin? Zu diesem Thema diskutierten anlässlich Ingeborg Bachmanns Geburtstag am 25. Juni 2016 Hans Höller, die beiden Autorinnen Sabine Gruber und Maja Haderlap sowie Regisseurin Ruth Beckermann unter der Leitung von Andrea Schurian über Bachmanns Leben, Werk und Spuren. Wortklauberin Erika hat neugierig gelauscht, um sich auf die Verleihung des Bachmann-Preises am 03.07. vorzubereiten.
Das Literaturmuseum im Grillparzerhaus in Wien ist voll an diesem 15. Juni 2016, nur zehn Tage bevor Ingeborg Bachmann ihren 90. Geburtstag gefeiert hätte. Der Abend beginnt entspannt. Zur Einstimmung lesen die beiden Autorinnen Sabine Gruber („Stillbach oder Die Sehnsucht“, H.C. Beck, 2011) und Maja Haderlap („Engel des Vergessens“, Wallstein, 2011) aus ausgewählten Werken der berühmten österreichischen Autorin. Die Texte drehen sich um Rom, um Wien, um die Welt, wie Bachmann sie sah.
Im anschließenden Gespräch mit dem Bachmann-Experten Hans Höller, der ein Buch zu Bachmanns Zeit in Prag verfasst hat, und der Regisseurin Ruth Beckermann bewegt sich die Archivdiskussion durch das Leben, das Werk und die Spuren, die Ingeborg hinterlassen hat. So leitet Andrea Schurian von der österreichischen Tageszeitung „Der Standard“ eine Diskussion, die nicht nur beim Thema „Ingeborg Bachmann, Schriftstellerin“ bleibt, sondern sich den vielen Facetten der Person Ingeborg Bachmann zuwendet.
So konzentriert sich Sabine Gruber auf das Leben der österreichischen Schriftstellerin in Italien – Ingeborg Bachmann lebte dort ab 1966 und pflegte zu sagen, dass ihr Arbeitszimmer sie jedes Mal zurück nach Wien versetze. Maja Haderlap findet darin eine Überleitung zum „Todesarten“-Zyklus, der mit dem Roman „Marlina“ begann und aufgrund des frühen Todes Bachmanns im Jahr 1973 nicht weitergeführt werden konnte. Sie spricht, gemeinsam mit Hans Höller, auch über Ingeborg, die Kranke, und Ingeborg, die Geliebte.
Gerade Ingeborg, die Kranke, ist ein aktuelles Thema, zumal der erste Band der Werkausgabe, der im November des Jahres im Suhrkamp Verlag erscheint, sich mit dem „Male Oscuro“, dem dunklen Schmerz der Krankheit der Schriftstellerin auseinandersetzt. Im Zusammenhang mit den 100.000 noch unveröffentlichten Manuskriptseiten aus Bachmanns Nachlass kommt auch die Frage auf, wie man mit privaten Dokumenten wie Briefwechsel umgehen sollte.
Hans Höller wirft dabei die Frage auf: Kann man es uns zumuten? Er meint mit diesem „es“ die Geschichte hinter den Geschichten, wie er es formuliert: Den Hintergrund, die Persönlichkeit der Schriftstellerinnen und Schriftsteller, deren Werke wir verschlingen.
Ein Blick auf eine andere Person wird frei – eine private Persönlichkeit, die liebt und lebt. Die andere Ingeborg – Ingeborg, die Geliebte – das ist die Geliebte des Essayisten und Literaturkritikers Hans Weigel, des Schriftstellers Max Frisch, die Muse Paul Celans.
Diese Ingeborg hinter den Briefen ist dieselbe, die ihre Erzählungen schreibt, und zugleich eine andere: Die andere Ingeborg ist zugleich Ikone und Mensch. Sie versucht, mit Paul Celan zu fühlen und hält ihn an, zu schreiben. Ihre Briefe sind im Mindesten genauso poetisch wie ihr literarisches Oevre, was mich zu dem Schluss bringt: Man kann es uns zumuten.
Hans Höller, Arturo Larcati: Ingeborg Bachmanns Winterreise nach Prag. Piper. 2016.
Ingeborg Bachmann: Werkausgabe – Male Oscuro. Notizen, Traumnotate und Briefe aus der Zeit der Krankheit. Suhrkamp. 2016.
Ingeborg Bachmann, Paul Celan: Herzzeit. Ingeborg Bachmann – Paul Celan. Briefwechsel. Herausgegeben von Bertrand Badiou, Hans Höller, Andrea Stoll, Barbara Wiedemann. Suhrkamp. 2009.
Foto: ÖNB
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