Wiederentdeckt: „Freundliche junge Damen“

von | 20.02.2024 | Belletristik, Buchpranger

„Freundliche junge Damen“ ist ein Roman über einige junge Menschen auf einem Hausboot auf der Themse – queer, lustig und klug erzählt. Worteweberin Annika hat Mary Renaults Roman von 1944 dank der Reihe rororo Entdeckungen verschlungen.

In einem sturmumpeitschten Städtchen in Cornwall wächst das siebzehnjährige Mauerblümchen Elsie heran. Weil ihre Eltern sich von morgens bis abends streiten, seit sie denken kann, ist ihre ältere Schwester Leonora vor vielen Jahren einfach ausgerissen. Elsie selbst ist hin- und hergerissen zwischen dem herrischen Patriarchen und der wehleidigen Mutter, ein fast erwachsenes Kind ohne eigene Meinung oder Perspektive. Doch da taucht der junge Vertretungsarzt Peter auf, als Elsie sehr krank ist, und hilft ihr nicht nur wieder auf die Beine, sondern sieht es auch als seine Pflicht an, ihr psychologisch beiseite zustehen. Er bringt Elsie auf die Idee, ihre Schwester Leo in London zu suchen.

Auf dem Hausboot

Elsie bricht mit einer Liebesschmonzette und reichlich kruden Ideen über Leonora im Gepäck auf: Hat die Schwester ihren guten Ruf verspielt? Sich mit einem Mann eingelassen? Lebt sie in wilder Ehe mit einem berühmten Künstler? Elsie findet Leonora, die sich jetzt Leo nennt, auf einem Hausboot auf der Themse, wo sie in einer offenen bisexuellen Beziehung mit der medizinischen Zeichnerin Helen lebt.

Leo schreibt Western, wenn sie nicht gerade mit ihrem besten Freund Joe, einem Schriftsteller, auf dem Fluss unterwegs ist. Die naive Elsie versteht die Situation der Schwester nicht, doch als bald Peter auftaucht, werden die drei „freundlichen jungen Damen“ und ihre Beziehungen durcheinandergerüttelt. Ob es Elsie gelingt, sich von den Eltern zu distanzieren und ihren eigenen Weg zu gehen?

Wiederentdeckt

„Freundliche junge Damen“ ist ein queerer, kluger Roman von 1944 – und da fragt man sich doch, warum das bis zum letzten Herbst niemand auf Deutsch lesen wollte! Denn das Buch ist der zweite Band der Reihe rororo Entdeckungen und in der Übersetzung von Gertrud Wittich nun erstmals auf Deutsch erschienen. Übersetzerin und Autorin Nicole Seifert und Buchhändlerin Magda Birkmann geben in dieser Reihe vergessene Klassiker von Frauen (wieder) heraus und geben ihnen einen neuen Auftritt.

Mary Renault erzählt humorvoll und zeichnet überspitzte Figuren. Auch wenn ich erst eine Coming of Age Story erwartet hatte, entwickelt sich das Mauerblümchen Elsie zum Beispiel erstaunlich wenig – aber nur so bleibt sie als Kontrastfigur zu den anderen beiden Frauen und als Reibungsfläche bestehen.

„Sollte er sie küssen? Wäre doch eigentlich eine Schande, es nicht zu tun, es würde sie wahrscheinlich für den Rest des Tages glücklich machen. Sie sah jetzt auch schon nicht mehr ganz so unattraktiv aus. Alles, was sie brauchte, war ein wenig Medizin von der Art, die es nicht in Pillenform gab.“

(S. 41)

Die Autorin stellt die Innensichten der Figuren oftmals kontrastierend direkt nebeneinander, was sehr komisch wirkt: Elsies naive, romantisierte Verliebtheit und Peters überhebliche, machohafte Gedanken darüber, mit seiner Aufmerksamkeit die Damenwelt zu beglücken zum Beispiel, oder die wohlmeinenden Gedanken der Mutter, die all ihren Kummer bei der überforderten Elsie ablädt, nur um sich besser zu fühlen.

Die queeren 40er

Gleichzeitig bleibt im Roman vieles im Vagen: Dass Leo und Helen ein Liebespaar sind zum Beispiel, begreift Elsie wohl während ihres ganzen Aufenthaltes auf dem Hausboot nicht. Und auch Leser*innen können diesen Umstand übersehen, da zwar eine zärtliche Gemeinschaft der beiden Frauen, aber keine expliziten Liebesszenen geschildert werden – gerade in den 40er Jahren war manch eine*r irritiert, schildert Nicole Seifert in ihrem erhellenden Nachwort. Klar, queere Geschichten kannte man damals noch nicht.

Gerade deshalb finde ich es auch verständlich, welches Ende Mary Renault 1944 für ihre Protagonistin Leo ersann. Umso schöner, dass die Autorin sich davon in späteren Jahren auch wieder distanzierte – denn auch wenn sich das Ende stringent aus der Geschichte und den Sympathien ergibt, wirkt es doch wenig mutig und aus heutiger Sicht einfach unpassend.

Trotz der Kritik am Schluss des Romans kann ich „Freundliche junge Damen“ von Mary Renault sehr empfehlen. Die Geschichte hat mich immer wieder überrascht, zum Lachen gebracht und begeistert. Ich bin schon gespannt auf weitere rororo Entdeckungen!

Freundliche junge Damen. Mary Renault. Aus dem Englischen von Gertrud Wittich. Herausgegeben von Magda Birkmann und Nicole Seifert. Rowohlt Taschenbuch. 2023.

Weiterlesen: Interview mit Nicole Seifert

Annika Depping

Annika Depping

Als Chefredakteurin versucht Annika in der Bücherstadt den Überblick zu behalten, was mit der Nase zwischen zwei Buchdeckeln, zwei Kindern um die Füße und dem wuchernden Grün des Kleingartens im Nacken nicht immer einfach ist. Außerhalb der Bücherstadt ist Annika am Literaturhaus Bremen mit verschiedenen Projekten ebenfalls in der Welt der Geschichten unterwegs.

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